Gummiindustrie : Semperit beendet Medizingeschäft und baut Gummi-Business weiter aus

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Im Rahmen ihrer strategischen Neuausrichtung wird sich die Semperit-Gruppe künftig auf die erkennbaren Potenziale im Sektor Industrie konzentrieren und die Transformation zum Industriegummi-Spezialisten vollziehen. Als Konsequenz haben der Vorstand und der Aufsichtsrat beschlossen, sich vom Medizingeschäft zu trennen: „Wir haben die größte strategische Grundsatzentscheidung der letzten Jahrzehnte sehr bewusst getroffen: Sie soll die Zukunftsfähigkeit und höhere Rentabilität der Semperit-Gruppe sicherstellen. Die Zukunft von Semperit liegt ganz klar im Sektor Industrie", sagt Martin Füllenbach, Vorsitzender des Vorstands der Semperit und fährt fort: „Wenngleich wir die operativen Kennzahlen bei Sempermed ab dem zweiten Quartal 2019 klar verbessern konnten, sehen wir uns im Sektor Medizin einer drastisch verschärften Wettbewerbsdynamik gegenüber; der kapazitätsseitige Abstand zu den Marktführern wird immer größer. Daher sind wir fest davon überzeugt, dass unser Medizingeschäft durch andere Eigentümer besser fortgeführt und entwickelt werden kann." Der Entscheidung ging die Prüfung verschiedener Alternativen voraus; diese beinhaltete auch die nun beschlossene Trennung vom Medizingeschäft im Ganzen oder in Teilen. Der Fortbetrieb des Medizingeschäftes würde angesichts des überaus dynamischen Wettbewerbsumfelds hohe Investitionen erfordern: Einzelne Wettbewerber investieren bis zu 20 Prozent ihres Jahresumsatzes in Kapazitätserweiterung und Automatisierung. Das Wettbewerbsumfeld führte zum 30. September 2019 zur Identifikation eines Wertminderungsbedarfs in Höhe von EUR 46,8 Mio. Der Semperit-Vorstand sieht auf Basis eines stärkeren Fokus auf den Industriesektor ein höheres Ertrags- und Rentabilitätspotenzial im Vergleich zur Fortführung der beiden Sektoren mit erhöhtem Investitionsbedarf: Den Sektor Industrie kennzeichnen eine deutlich höhere Rentabilität, eine erfolgreichere Performance und die Möglichkeit zur technologischen Differenzierung in regionalen und anwendungsbezogenen Nischen. „Klare Priorität hat ein Gesamtverkauf der Medizinsparte, den wir eingehend und ausführlich evaluieren werden", so Füllenbach. „Gemäß der sehr bewährten Kultur in der beinahe 200-jährigen Unternehmensgeschichte von Semperit werden wir in diesem Zusammenhang rechtzeitig Gespräche mit den Arbeitnehmer-Vertretern aufnehmen. Ziel muss es in den kommenden Monaten sein, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Sempermed-Mitarbeitern eine Zukunftsperspektive zu geben." Mögliche Restrukturierungskosten werden sich erst aus der konkreten Transaktionsstruktur ableiten und sind somit noch nicht bezifferbar.

Stammwerk Wimpassing soll aufgewertet werden

Die Trennung vom Medizingeschäft betrifft alle Sempermed-Standorte und damit auch die Produktion von Operationshandschuhen, die einen Teilbereich des niederösterreichischen Semperit-Stammwerks Wimpassing ausmacht. Wimpassing ist aber in erster Linie Standort der Industriesegmente Semperform und Semperflex und steuert auch gruppenweite Schlüsselbereiche wie die Forschung & Entwicklung oder Mixing. „Unser Stammwerk Wimpassing bleibt als Teil der Semperit-Gruppe zweifellos erhalten", so Füllenbach, der den heimischen Produktionsstandort weiter aufwerten möchte. „Vor dem Hintergrund der Eintrübung der konjunkturellen Rahmenbedingungen arbeiten wir derzeit an einem neuen Standortkonzept." Wimpassing soll künftig nicht nur wegen seiner historischen Bedeutung, sondern auch im Lichte der noch stärker zu akzentuierenden technologischen Differenzierung der Semperit-Produkte eine konzernweit noch größere Bedeutung erfahren.

„Gummi muss sich Anforderungen der Industrie 4.0 stellen und digitale Funktionalitäten mitliefern"

Nachdem der Vorstand die Restrukturierung des Industriesektors weitgehend erfolgreich abgeschlossen und dessen Profitabilität deutlich gesteigert hat, soll die Semperit-Gruppe im Rahmen ihrer strategischen Neuausrichtung mit voller Kraft und Fokussierung zum Industriegummi-Spezialisten transformiert werden: Die Potenziale im Industriesektor sollen künftig durch eine deutliche Erhöhung der Kundennähe, eine marktorientiertere Ausrichtung der Gesamtorganisation und verstärkte Anwendungsfokussierung besser genutzt werden. Ziel sei es, bestehende und zukünftige Märkte schneller und effektiver bedienen zu können. Wichtige strukturelle Weichenstellungen hierfür wurden durch die Organisation des Sektors Industrie in vier statt drei Segmenten (Semperflex, Semperform, Semperseal, Sempertrans) und den ersten Schritt zur regionalen Entwicklung außereuropäischer Kernmärkte über eine Fertigungsexpansion und regionale Vertriebsorganisation in Nordamerika geschaffen. Mit dem Ziel, neue Wachstumsregionen, -industrien und Anwendungsmöglichkeiten zu identifizieren und zu erschließen sowie insbesondere segmentübergreifende Absatzchancen zu nutzen, hat die neue Organisationseinheit Customer Excellence Center (CEC) im vierten Quartal 2019 ihre Tätigkeit aufgenommen. Basierend auf ihrem starken Material- und Prozesswissen wird sich die Semperit-Gruppe künftig verstärkt auch auf ihr Anwendungswissen konzentrieren. Das seit vielen Jahrzehnten vorhandene chemische und prozessorientierte Grundlagenwissen soll künftig maßgeblicher für die Entwicklung neuer Produkte genutzt werden. Einen klaren Schwerpunkt der neuen Industrie-Strategie bildet das Thema Innovation und Digitalisierung: „Unser Werkstoff Gummi muss sich den Anforderungen der Industrie 4.0 stellen und digitale Funktionalitäten mitliefern", so Füllenbach. Bis Ende 2024 - das 200. Jahr in der Unternehmensgeschichte - soll Semperit durch organische Wachstumsschritte und eine klare M&A-Strategie wieder auf deutlich mehr Umsatzvolumen anwachsen. Begleitet wird die strategische Neuausrichtung durch die Modernisierung des Unternehmensauftritts, der den fortschreitenden Wandel der Semperit-Gruppe stärker transportieren und visualisieren soll. Im Zusammenhang mit der Fokussierung auf den Industriesektor legt Semperit die zu Beginn des Restrukturierungsprozesses definierte Zielsetzung (bisher: EBITDA-Marge von rund 10 Prozent ab Ende 2020) neu fest und strebt bis Ende 2024 eine EBITDA-Marge von rund 13 Prozent an. (OTS)