Biegeautomaten : Salvagnini schafft Entwicklungssprung für Losgröße 1

Salvagnini Hammelmüller und Zehetner
© Simlinger/LCM

Losgröße 1 und Großserien ohne Ausschuss: Die neue Lean-Generation der Salvagnini-Biegeautomaten macht ein ambitioniertes Entwicklungsziel endlich zur Realität. Verantwortlich dafür ist eine Materialerkennung, die den gesamten Biegeprozess steuert. Entwickelt hat diese das Linz Center of Mechatronics (LCM). Salvagnini hat der neuen Technologie den einprägsamen Namen MAC 2.0 gegeben. Nicht zuletzt dank wichtiger Impulse durch das JKU-Institut für Technische Mechanik überzeugt die Lean-Generation der Biegeautomaten auch mit weiteren Neuerungen: dezentrale Antriebe, reduzierter Energieverbrauch, eine deutliche Gewichtsreduktion, die Kompensation thermomechanischer Einflüsse, Condition Monitoring, eine Industrie 4.0-Verknüpfung und der Entfall von Rüstzeiten.

Unterschiedliche Materialchargen kein Problem mehr

„Wir haben hochkomplexe Simulationsmodelle in eine einfache Software übersetzt“, fasst LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz die Entwicklung der automatischen Materialerkennung zusammen. Tatsächlich hat sich das Smart Automation Team von LCM in zahlreichen Computersimulationen und gezielten Messungen bei Biegevorgängen mit verschiedensten Blechen auf die Suche nach Gesetzmäßigkeiten in deren mechanischen Eigenschaften gemacht. „Wenn wir diese Eigenschaften und deren Einfluss auf die Umformung kennen, können wir den gesamten Biegeprozess so steuern, dass immer das exakt gleiche Endprodukt entsteht. Und zwar unabhängig von der Stückzahl, der Blechdicke oder der Materialqualität“, skizziert LCM-Entwickler Christian Zehetner. Der entscheidende Faktor dafür ist die Fließkurve. Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen Spannungen und Dehnungen im Werkstück – im konkreten Fall bei der Biegung. Dafür wurden Aluminium, rostfreie und hochfeste Stähle ebenso getestet wie unterschiedliche Materialchargen. „Referenzwerte hatten wir durch spezielle Bleche mit ganz genau definierten Materialeigenschaften“, erklärt Zehetner.

Millisekundenschnelle Berechnung der Werkzeugbahn

Sämtliche Erkenntnisse aus Simulationen und Materialtests haben die Entwickler schließlich in eine Software – die Biegeformel – gepackt. Diese steuert den gesamten Biegeprozess vollautomatisch. „Sensoren an den Antrieben des Biegeautomaten messen binnen Millisekunden, wie das Werkstück auf Druck reagiert und ermitteln so die Materialeigenschaften“, konkretisiert Zehetner. Dadurch wird schon zu Beginn des Biegeprozesses ein auf das Material abgestimmter Endpunkt der Werkzeugbahn errechnet. Also jener Punkt, bis zu dem das eingespannte Werkstück gebogen werden muss, damit es exakt den vorgegebenen Abmessungen entspricht. „Das ermöglicht die Produktion von Einzelstücken in Losgröße 1“, formuliert LCM-Geschäftsführer Gerald Schatz. Tatsächlich stellt MAC 2.0 nicht nur sicher, dass Losgröße 1 auf Anhieb exakt gefertigt wird, sondern auch bei Großserien – selbst bei unterschiedlichen Materialchargen – minimale Qualitätsverluste auftreten. Bei hochqualitativen Blechen beträgt der Winkelfehler maximal 0,5 Grad, bei schlechten Qualitäten maximal 1 Grad. MAC steht für „Material Attitude Correction“ und beschreibt damit die herausragende Neuerung der neuen Biegeautomaten-Generation. Die theoretischen Grundlagen für diese Korrektur wurden vom LCM gemeinsam mit dem Institut für Technische Mechanik der Linzer Johannes Kepler Universität (JKU) unter Leitung von Professor Hans Irschik erarbeitet.

Smarte Instandhaltung inklusive

Weil die Biegeautomaten mitprotokollieren, welche konkreten Kräfte in den Antrieben gewirkt haben, ist auch eine vorbeugende Wartung möglich. „Salvagnini Biegeautomaten teilen rechtzeitig mit, ob Komponenten nachjustiert oder getauscht werden müssen“, betont Wolfgang Kunze, Chief Technical Officer (CTO) des Salvagnini-Werks in Ennsdorf. „Das vermeidet Stillstände und erlaubt es, Wartungsarbeiten außerhalb des Produktionsprozesses vorzunehmen.“ Als Technischer Leiter des Entwicklungsstandortes lagert Kunze immer wieder komplexe Entwicklungsprojekte an LCM aus. „Die einzigartige LCM-Kompetenz, marktfähige Lösungen auf höchstem wissenschaftlichen Niveau zu entwickeln, erhöht die Schlagkraft unserer Entwicklungsarbeit enorm“, betont Kunze. Rund 40 Salvagnini-Entwickler haben an der Generation Lean mitgearbeitet und noch weitere wesentliche Verbesserungen erreicht. So konnte etwa ein neues, dezentrales und damit energiesparendes Antriebskonzept realisiert werden. Jetzt sorgen Elektroaktuatoren mit abgeschlossenen Hydraulikzylindern für einen punktgenauen und exakt dosierten Biegevorgang. Das hat nicht nur den Energieeinsatz wesentlich reduziert sondern auch die Abnützung der Biegewerkzeuge. Ein neues Werkzeugwechsel-System eliminiert Rüstzeiten und erlaubt so auch die verzögerungsfreie Produktion von Losgröße 1.

LCM reduziert Gewicht, JKU kompensiert thermische Effekte

Nach einer genauen Analyse und Neuberechnung ist LCM auch eine deutliche Gewichtsreduktion der Strukturteile gelungen. „Alleine bei unserem kleinsten Biegeautomaten P2lean konnten so 1.500 Kilogramm eingespart werden“, freut sich Wolfgang Kunze. „Das senkt die Material- und Fertigungskosten in der Herstellung und verbilligt den Transport.“ Dem Institut für Technische Mechanik der JKU ist ein wichtiger Schritt in der Kompensation thermomechanischer Einflüsse gelungen. Da sich während des Produktionsprozesses vor allem die Antriebe erwärmen, aber auch die Umgebungstemperatur stark schwanken kann, kommt es im Gesamtsystem zu Wärmedehnungen. „Das verändert natürlich auch die Werkzeugbahn“, präzisiert Prof. Helmut J. Holl vom Institut für technische Mechanik. „Wir haben ein thermomechanisches Modell errechnet, mit dem die Wärmedehnung kompensiert und die Biegequalität stabilisiert werden kann.“