Martin Stich : Roboter in der Intralogistik: Ist der Hype gerechtfertigt?

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Wir erleben in der Intralogistik seit einigen Jahren einen Robotik-Hype – zumindest wenn man den vielen Fachzeitschriften und den Messeauftritten mancher Unternehmen glauben darf. Auf jeder Messe präsentieren Unternehmen mittlerweile klassische Sechs-Achs-Knickarm-Roboter, die ihren Weg aus der Produktion in die Logistik finden sollen. Kleinteilekommissionierung ist der Plan.

Was soll der Roboter überhaupt leisten?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich bin ein Freund von Automatisierung und Robotik – und jedes Kilogramm an Ergonomie-Verbesserung hilft den Menschen in der Supply-Chain – aber ich frage mich: wie breit ist denn das Teilespektrum, das mit einem klassischen Roboter abgedeckt werden kann? Was soll der Generalist Knickarm-Roboter in der Logistik und vor allem in der Handelslogistik, im Lebensmitteleinzelhandel leisten - depalettieren, schlichten, kommissionieren? Das ist ökonomisch und technologisch mit dem klassischen Industrie-Roboter noch schwer abbildbar.

Weg von den Einzelschritten

Kritisch ist aus meiner Sicht, welche Themen in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Da stehen Fragen im Zentrum wie „soll der Roboter die Ware greifen, oder ansaugen, oder mit Vakuum-Technologie arbeiten – oder eine Kombination aus allem? Aus meiner Sicht ist das zu kurz gesprungen, denn für Anwender und Betreiber geht es doch um den Gesamtprozess – End-to-End – und nicht um einen Einzelschritt in der Gesamtkette.

Cobot ist kein Allheilmittel

Gleiches gilt für das Thema, ob 50%, 60% oder 70% des Artikelspektrums automatisiert mit einem Roboter kommissioniert werden können. Entscheidend ist doch nicht der Prozentsatz selbst – entscheidend ist, dass man in diesem Fall zwei parallele Ströme im Warenfluss hat – und somit Komplexitäten entstehen im Hinblick auf Ströme, Bestände, Synchronisation und Konsolidierung, Family Groups, etc. etc.. Auch ein schlichter Hinweis auf Cobots löst dieses Thema nicht – der gesamte Business Case muss Sinn machen – die Einzelbetrachtung des spezifischen Pickvorganges ist nur ein Teil-Aspekt. Letztlich ist für unsere Kunden entscheidend, wirtschaftliche Lösungen einzusetzen – mit der dafür notwendigen Artikelabdeckung, Leistung, Verfügbarkeit und Lebensdauer.

Was klassische Roboterhersteller nicht gerne hören

In der Intralogistik für den Handel brauchen wir den Spezialisten. Ja, auch Witron baut Roboter. Unsere COM beispielsweise ist so ein Spezialist. Entwickelt für die Logistik des Lebensmitteleinzelhandels, komplett integriert in den gesamten Warenstrom durch das Logistikzentrum, in Interaktion mit teilautomatisierten und manuellen Subsystemen. So gesehen arbeiten wir schon seit 2003 mit Robotern, denn ein Roboter ist ein Handhabungsgerät, das den Menschen unterstützt und von einem Computer gesteuert wird. Damit fällt auch die COM aus dem OPM-System in die Kategorie Roboter – auch wenn das die klassischen Robotikanbieter nicht gerne hören werden.

Roboter alleine ist nicht das Maß aller Dinge

„Für mich ist ein Roboter nicht nur der klassische Sechs-Achs-Knickarmroboter“, erklärte Prof. Birgit Vogel-Heuser von der TU München auf dem ZVEI Jahreskongress in Berlin. Es gäbe viele Robotikanwendungen, beispielsweise in der Verpackungsindustrie, so die Wissenschaftlerin vom Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme. Sie spricht von „spezifischen Robotern“ als Wettbewerbsvorteil deutscher Unternehmen. Genau darum geht es: eine Lösung für ein Problem zu finden. Das funktioniert leider nicht immer mit Standardkomponenten.

Und wider dem Hype: Ein Roboter alleine – wie auch immer er optisch aussieht – macht den Anwender nicht „glücklich“. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht ausreicht, den Menschen an einer Workstation quasi durch eine Maschine zu ersetzen – auch wieder zu kurz gesprungen. Wenn schon automatisch – dann richtig – dann grundsätzlich neue Wege gehen und den gesamten Prozess neu denken und interpretieren – technisch, ökonomisch, und ökologisch!