Kunststoff-Recyclingmaschinen : NGR: Mühlviertler bringen Maschinen zum Sprechen

Thomas Pichler (links) Technischer Leiter und Johannes Pichler projektverantwortliche IT-Chef bei NGR
© Wolfgang Simlinger

Dass Wartungshandbücher nicht zur Lieblingslektüre von Produktionsverantwortlichen gehören, weiß man bei Next Generation Reyclingmaschinen (NGR) schon längst. Jetzt macht der Produzent von Kunststoff-Recyclingmaschinen den drögen Lesestoff komplett obsolet. Mit Smart-Dialog (Self-Monitoring, Analysis and Reporting Technology) machen die Mühlviertler Informationen über Leistungsdaten, anstehende Wartungsarbeiten oder benötigte Ersatzteile zur Bringschuld der Maschine. Früherkennung ist die Stoßrichtung der kommenden Jahre. So sollen zusätzliche Sensoren, die Performance lückenlos überwachen und ungeplante Stillstände vereiteln.

Teure Maschinendefekte

Über 900 NGR-Maschinen sind in 80 Ländern der Welt im Einsatz. Im Schnitt produziert jede einzelne rund 500 Kilogramm Kunststoffgranulat pro Stunde. Über 5.000 Stunden pro Jahr sind die meisten NGR-Maschinen im Einsatz. „Produziert wird in der Regel am Anschlag“, sagt Thomas Pichler. Als Technischer Leiter bei NGR ist auch Projektleiter für Smart-Dialog. Acht bis sechzehn Stunden dauert eine planmäßige Wartung – bei der beispielsweise die Lager gewechselt werden und alle Ersatzteile griffbereit sind. Wenn dasselbe Lager völlig überraschend kaputt geht, die Maschine also während der Produktion ausfällt und weder Ersatzteile noch ein Servicetechniker vor Ort verfügbar sind, kann das eine komplette Versorgungskette gefährden. „Wenn Lieferverpflichtungen aufgrund eines Maschinendefekts in Gefahr sind, schicken wir Servicetechniker bis nach China, Australien oder Brasilien. Das kann schnell bis zu 10.000 Euro kosten,“ erklärt Pichler und nennt ein konkretes Beispiel für einen echten Notfall. In Norddeutschland produzieren NGR-Maschinen Granulat für Agrarfolien, wie sie etwa für Gewächstunnel verwendet werden. Hergestellt wird dieses hauptsächlich aus alten Folien, die von den Gemüsebauern zurückgebracht werden. „Fällt ausgerechnet im März, wenn alle Landwirte Folientunnel brauchen, eine Maschine längere Zeit aus, bricht schnell Panik aus.“ Exakt für diesen Fall wurde Smart-Dialog entwickelt.

Vollautomatische Ersatzteilbestellung

Da der Zufall der Feind von Produktionsprozessen ist, setzten die Mühlviertler Maschinenbauer diesem höchste Planbarkeit entgegen. Jederzeit kann auf dem Smartphone, Tablet oder am PC mittels Smart-Dialog in Echtzeit die Produktionsleistung überwacht werden. „Damit kann man auch gleich Abweichungen im Output oder in der Qualität korrigieren“, sagt Pichler. Ebenso automatisch werden anstehende Wartungsarbeiten und die dafür benötigten Ersatzteile angezeigt – und bei Bedarf automatisch angefordert. Damit werden nicht nur ungeplante Stillstände verhindert, sondern auch der in den Wartungsplänen empfohlene Tausch von Komponenten, die noch einwandfrei arbeiten. Als „Kombinatorik“ bezeichnet Johannes Pichler, der projektverantwortliche IT-Chef bei NGR, jene Analysearbeit, die aus bereits vorhandenen Daten die zukünftige Performance einer Maschine voraussagen soll. Schon jetzt messen Sensoren die Drehzahl der Schredder, die Temperatur im Extruder, den Massedruck in der Schmelze, die Viskosität und Temperatur des Getriebeöls oder die Stromaufnahme der Maschine. Auf Kundenwunsch wird auch eine automatische Wiegestation für das produzierte Granulat installiert. „Alleine die Stromaufnahme liefert unbestechliche Informationen, ob die Maschine ihre Leistungsfähigkeit wirklich voll ausschöpft“, konkretisiert Johannes Pichler. „Ist das nicht der Fall, gleichen wir das mit den anderen Sensordaten ab. Dann wird schnell klar, welcher Maschinenteil nicht optimal arbeitet und gewartet werden muss.“

Globale Cloud für internationale Kunden

Schon Anfang 2018 soll Smart-Dialog marktfähig sein. Rund 300.000 Euro haben die Mühlviertler bisher in die Entwicklung investiert, FFG-Förderungen inklusive. Ein US-amerikanischer NGR-Kunde und zwei deutsche fungieren als Entwicklungspartner. „Damit können wir uns unmittelbar am Kundenutzen orientieren und bekommen zu jedem Entwicklungsschritt ungefiltertes Feedback“, sagt Johannes Pichler. Die Präsentation von Smart-Dialog auf der Kunststoff- und Kautschukmesse K 2016 hat enormes Echo ausgelöst und Bedenken zerstreut. „Unsere Kunden haben keine Scheu, ihre Maschinendaten auf eine eigens eingerichtete, abgesicherte Cloud zu speichern und NGR zugänglich zu machen“, erklärt Technikleiter Thomas Pichler. Da die Kunden in 80 Ländern der Welt sitzen und ebenso viele nationalen Datenschutzgesetze zu beachten sind, haben sich die Mühlviertler für einen global agierenden Cloud-Anbieter entscheiden. „Überraschend war für uns freilich, dass es noch keine fertigen Lösungen gibt, die man für unsere Zwecke einfach adaptieren kann. Beeindruckend ist allerdings, mit welchem Tempo, welcher Kreativität und Dynamik sich Cloud-Services entwickelt.“

Virtuell Reality im Anschlag

Dynamik darf man sicher aber auch von der vorausschauenden Instandhaltung bei NGR erwarten. Mit zusätzlichen Sensoren an und in den Maschinen soll ein umfassendes Monitoring möglich werden. „Wir prüfen schon jetzt, wie wir etwa mit Akustik- oder Schwingungssensoren Schäden an Kugellagern detektieren können“, gewährt Thomas Pichler einen Blick in die aktuelle Entwicklungsarbeit. Mit diesen neuen Daten sollen jene Muster noch genauer analysiert werden, mit denen sich Störungen ankündigen. "Wenn wir Störungsmeldungen von mehreren NGR-Maschinen vergleichen, werden wir Wechselwirkungen zwischen Komponenten entdecken, die uns jetzt noch gar nicht bewusst sind." Dafür wollen die Mühlviertler einen eignen Analyse-Experten engagieren. Die vorausschauende Instandhaltung wird dann eine Prognosequalität erreichen, die ungeplant Stillstände praktisch ausschließt. „Möglicherweise werden unsere Service-Techniker in ein paar Jahren die Maschinen mittels Virtual Reality und Datenbrillen auch von innen inspizieren können“, wagt IT-Chef Johannes Pichler einen Blick in die Zukunft.

Rezept-Datenbank

Schon in Kürze will NGR seinen Kunden eine Art Rezept-Datenbank für die optimalen Produktionseinstellungen online zur Verfügung stellen. Nicht nur Betriebe, in denen wenig Zeit für die Ausbildung der Mitarbeiter zur Verfügung steht, profitieren so von einem enormen Produktivitätssprung. „Praktisch alle Kunden stellen die Temperatur für den Schredder auf das Minimum, weil sie glauben, dass dadurch die Zerkleinerung besser funktioniert“, nennt Thomas Pichler ein typisches Beispiel. „In Wirklichkeit gibt es aber für jeden Kunststoff eine Idealtemperatur. Wird diese unterschritten, verbrauchen das Schreddern ebenso wie die anschließende Schmelze unnötige Energie.“ Das lässt die Dimension erahnen, welche Optimierungspotenziale Smart-Dialog in alltäglichen Produktionsprozesse durch einfachste Eingriffe eröffnet.

Was Sie schon meistern: Vorausschauende Wartung die gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Maschinen im Routinebetrieb erhöht.

Womit sie noch kämpfen: Die Aufrüstung der Sensorik mit Bauteilen, die auch einen serienmäßigen Einbau erlauben.