Interview : Nach Großbrand: Wie 3M den Wiederaufbau in Villach meisterte

Felix Thun-Hohenstein
© 3M

FACTORY: Herr Thun, nach dem Brand im März 2018 dauerte es ein Jahr, bis die Anlagen wieder vollständig liefen. Wie konnte die einjährige Bauphase überbrückt werden?

Felix Thun-Hohenstein: Wir haben im Prinzip ja bereits sechs bis acht Wochen nach dem Brand die Infrastruktur soweit aufgebaut, dass Teile der Produktion wieder liefen, speziell bei den kunstharzgebundenen Schleifmitteln. Ich bin sehr stolz und auch sehr dankbar dafür, was unsere Teams in Villach geleistet haben.

Die gesamte Ofenhalle war abgebrannt. Ein Problem für das Sintern …

Thun-Hohenstein: Richtig, dort standen wir vor großen Herausforderungen da wir keramische Produkte bei 900 – 1000 Grad brennen mussten. Hier sind wir eine Kooperation mit einem unserer Werke in Schweden eingegangen. Die Produkte wurden in Villach gepresst, in Schweden gesintert und anschließend vor der Auslieferung an den Kunden in Villach wieder weiterverarbeitet. So konnten wir schon relativ schnell nach dem Brand cirka 40 Prozent unserer Produktion wieder abdecken. So kam es zu keinen größeren Stillständen. Und jetzt haben wir innerhalb eines Jahres parallel zu einer großen Baustelle die Produktion praktisch weitergeführt und es geschafft, das neue Ofenhaus aufzubauen und somit das Werk neu aufzustellen.

Wie war die Arbeitssituation der Mitarbeiter während der Bauphase?

Thun-Hohenstein: Sehr schwierig. Es gab ja keine Büros mehr, es war alles zerstört. Das heißt, unsere Mitarbeiter haben jetzt über ein Jahr in Containern gearbeitet. Zuerst mussten wir natürlich den gesamten Brandbereich sanieren und parallel hatten wir schon wieder die Produktion hochgefahren. Das war eine ungeheuer herausfordernde Aufgabe für unsere Mitarbeiter, und es war wirklich beeindruckend zu sehen, wie sie diese ungewöhnliche Situation gemeistert haben.

Wie wurden Produktionsengpässe kompensiert?

Thun-Hohenstein: Natürlich konnten wir nur eingeschränkt produzieren, aber das war je Produktbereich recht unterschiedlich. Im Bereich der keramisch gebundenen Schleifprodukte gab es eine längere Phase, in der wir über 60 Prozent unserer Produktion nicht zur Verfügung hatten. Hier haben wir mit unseren Kunden an Lösungen gearbeitet und teilweise auch dabei unterstützt, andere Produkte für den Produktionsbereich zu spezifizieren. Dadurch traten keine größeren Probleme oder dramatischen Stillstände bei unseren Kunden auf.

Wie war die Stimmung unter den Mitarbeitern nach dem Brand?

Thun-Hohenstein: Unsere Mitarbeiter waren natürlich am Anfang nach dem Brand sehr geschockt und verunsichert. Wird 3M wieder investieren? Wie sieht die Zukunft aus? Immerhin ist Villach unser globales Lead-Werk für die keramische Schleifmittelproduktion, aber auch sehr wichtig für den Trennscheibenbereich.

Aber 3M hat sehr schnell die Entscheidung getroffen, wieder zu investieren.

Thun-Hohenstein: Und dann hat das Ganze auch eine ungeheure Dynamik entwickelt und Begeisterung entfacht. Ich glaube, dass das Team in Villach durch diese sehr schwierige Aufgabe und den Zeitdruck wirklich zusammengewachsen ist. Die Mitarbeiter hatten innerhalb von vier bis fünf Wochen einen konkreten Plan, wie wir das Werk wiederaufbauen. Diesen Zeitplan haben wir bis heute ganz genau eingehalten, das hat mich sehr beeindruckt.

So ein Desaster ist natürlich ein Problem, aber eigentlich auch eine große Chance. Welche Modernisierungen wurden im Werk vorgenommen?

Thun-Hohenstein: Wir haben die Chance genutzt und das Werk von Grund auf neu aufgestellt. Investiert haben wir dafür rund 29 Millionen Euro in den Wiederaufbau und eine wesentlich verbesserte Infrastruktur. Wir mussten natürlich alles neu verkabeln, haben neue Trafostationen und eine neue Gaszuführung etabliert. Das Ofenhaus haben wir komplett neu ausgebaut, und seit ungefähr drei Jahren gibt es ein innovatives Automatisierungsprogramm für viele Bereiche im Werk, das wir mit diesen Investitionen nun etwas beschleunigen konnten.

Selbstredend, dass die Sicherheitsmaßnahmen nochmal verschärft wurden?

Thun-Hohenstein: Ich würde behaupten, dass wir jetzt eines der sichersten 3M-Werke zur Produktion keramisch gebundener Schleifmittel weltweit besitzen. Wir haben die modernsten Sinteröfen mit zusätzlichen Sicherheitseinrichtungen gekauft.

Sie haben Ihr Automatisierungsprogramm beschleunigt. Wie?

Thun-Hohenstein: Wenn Sie jetzt durchs Werk gehen, werden Sie sehen, dass von der Lagerlogistik über die automatische Qualitätskontrolle bis hin zu den vollautomatischen Rundpressen für die Trennscheiben sehr viele Bereiche automatisiert wurden. Hier gibt es immer noch Ausbaupotenzial und wir haben einen Plan, dieses für die nächsten drei, vier Jahre weiter auszuschöpfen. Durch die Automatisierung konnten wir auch den Komfort am Arbeitsplatz verbessern. Denn das bedeutet ja immer auch eine körperliche Entlastung derjenigen, die an den Maschinen stehen. Das zeigt sich zum Beispiel im vollautomatisierten Bereich der Trennscheiben, der automatisierten Qualitätskontrolle, bei den CNC-Maschinen für die Feinbearbeitung, aber auch im Verpackungs- und Versandbereich.

Wie konnten Sie das Kundenvertrauen in der schwierigen Phase des Aufbaus erhalten?

Thun-Hohenstein: Unsere Kunden haben in dieser schwierigen Situation wirklich absolut positiv reagiert und uns zum Teil auch sehr geholfen. Wir haben natürlich versucht, von vornherein sehr proaktiv mit den Kunden über unsere Lieferfähigkeiten und Verfügbarkeiten zu sprechen – was wir noch liefern können, was wir nicht liefern können, wann wir wieder liefern können.

Der offene Dialog war also nützlich?

Thun-Hohenstein: Ja, das hat sehr geholfen. Wir haben sehr offen kommuniziert, was wir in das neue Werk investieren und wie sich die Produktionsabläufe nun gestalten. Ich bin sehr dankbar für das positive Kunden-Feedback während des gesamten Prozesses, und glaube auch, dass von vielen Kunden sehr geschätzt wird, wie schnell wir wieder lieferfähig waren.

Stimmt es, dass es Pläne gibt, sich an das Fernwärmenetz anzuschließen?

Thun-Hohenstein: Richtig. Wir haben ein ganz neues Energiekonzept realisiert. Wir werden bald an das Fernwärmenetz der Region angeschlossen sein und können damit überschüssige Energie abgeben. So tun wir etwas für die Umwelt und senken gleichzeitig unsere Produktionskosten.

Der Standort Villach ist eines von global drei Kompetenzzentren des 3M-Geschäftsbereichs Precision Grinding & Finishing und gilt als Produktionszentrum für zukunftsweisende Lösungen. Werden bald Flexscheiben gedruckt?

Thun-Hohenstein: Wir arbeiten aktuell stark an additiven Herstellungsmethoden und bringen gerade die ersten mit 3D-Technologie gedruckten Superabrasives auf den Markt. In diesem Bereich darf man in Zukunft noch einiges von uns erwarten.

Vielen Dank für das Gespräch!