KI-Forschung : Künstliche Intelligenz: Wie die Industrie den Einstieg schaffen will

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Herr Kröger, Sie kritisieren künstliche Intelligenz als Buzzword. Warum?

Kröger: Wir erleben einen Hype um das Thema KI und wir als Forscher müssen die Erwartungen ein stückweit relativieren. Ich wünsche mir mehr Realismus in der Debatte. Denn vieles, was wir heute präsentiert bekommen, sind erste Ansätze von maschinellem Lernen.

Maschinelles Lernen ist also nicht gleich KI?

Schulz: KI und Machine Learning sind genaugenommen verwandt. Aber beide Begriffe sind nicht eindeutig, da es bereits an einer verbindlichen Definition für Intelligenz und Lernen mangelt. Man unterscheidet besser zwischen starker und schwacher künstlicher Intelligenz. Während man unter starker künstlicher Intelligenz den Versuch versteht, eine humane Intelligenz nachzubilden, ist schwache künstliche Intelligenz eher mit Begriffen wie Mustererkennung, Maschinenlernen oder Data-Mining verbunden.

Sie hingegen, Herr Hochreiter, sehen im jetzigen Hype einen Vorteil.

Hochreiter: Das stimmt. Früher hat es keinen interessiert und jetzt ist da ein riesen TamTam, das ist nur zu unserem Vorteil. Denn er öffnet uns Tor und Tür in völlig neue Bereiche.

Sie sprechen von der Industrie?

Hochreiter: Es ist gut, dass Europa sich mittlerweile dafür sensibilisiert, denn sonst bauen die Amerikaner ihren Vorteil weiter aus. Die Angst vor Amazon, Google und Co treibt auch eine voestalpine, AVL und ähnliche Industriekonzerne an.

Herr Kröger, Sie kennen Mark Zuckerberg und Larry Page persönlich. Sind uns die USA wirklich voraus?

Kröger: Ja das sind sie. Ich habe selber sieben Jahre im Silicon Valley gelebt und habe mehrere Diskussionen Zuckerberg und Larry Page zu diesen Themen geführt. Viele Entwicklungen aus dem B2C-Umfeld oder aus den sozialen Netzwerken oder eben Amazon oder Google können auch für die Industrie genutzt werden – die Kunst ist, Daten die richtigen Fragen zu stellen.

Herr Schulz, sie teilen die Meinung eines amerikanischen KI-Pioniers nicht ganz.

Schulz: Es wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft verkannt, dass auch Europa bedeutende Beiträge zur künstlichen Intelligenz geleistet hat, leistet und sicher auch in Zukunft leisten wird. Und vergessen Sie nicht den fernen Osten. Auch dort gibt es enorme Anstrengungen, KI zu entwickeln und zu etablieren.

Audi hat sich mit seiner KI-Forschung nicht ans Silicon Valley gewandt, sondern an Sie Herr Hochreiter. Wie kommt das?

Hochreiter: Streng genommen hat uns das Silicon Valley an Audi weiterempfohlen. Wir sind bei Facebook und Google bekannt, wie bunte Hunde. Die örtliche Nähe zu Audi war natürlich nochmal ein Vorteil.

Sie wollen bei Audi das autonome Fahren vorantreiben. Aber eine KI, die fährt?

Hochreiter: Sie kennen doch Alexa, der Sprachassistent von Amazon? Diese Spracherkennung basiert auf unserer Technologie. Im Moment gehen wir schrittweise in Richtung autonomes Fahren über das pilotierte Fahren. Beispielsweise durch eine KI, die den Fahrer auf Gefahren und ungewöhnliche Situationen aufmerksam macht oder einfach nur den Verkehr kommentiert. Vorsicht von links nähert sich ein schnelles Fahrzeug. Die Ampel schaltet bald auf rot, besser bremsen. So wird nach und nach ein Vertrauen in die KI aufgebaut.

Nicht nur Audi, auch Google und Tesla stehen bei Ihnen Schlange. Um was geht es da?

Hochreiter: In einem neuen Projekt wollen wir Bildsequenzen analysieren und nicht wie jetzt nur das von der Kamera letzte aufgenommene Bild. So kann eine KI erkennen, ob ein Fahrradfahrer steht oder fährt. Die KI merkt sich diese Sequenzen und kann den Fahrer darauf aufmerksam machen.

Das heißt nie wieder Strafzettel für uns?

Hochreiter: Gut das Sie das sagen, denn es stellt sich tatsächlich die Frage: Darf eine KI Verkehrsregel verletzen? Ich sage: Ja, wenn das z.B. einen Unfall verhindert.

Herr Kröger, Sie simulieren einen digitalen Schatten von Produktionsstraßen in der Autoindustrie? Eine KI entscheidet dort also über Ressourcenverteilung?

Kröger: Fast. Wir simulieren die Produktion, optimieren sie im digitalen Schatten, und können so Taktzeiten reduzieren oder sogar Roboter einsparen. Roboter und deren Bewegungsabläufe sind heute oft nicht optimal programmiert, weil Entwicklern die Zeit oder die Optimierungstools fehlen. Das geben die Autobauer auch zu. Wenn wir jetzt über einen digitalen Schatten gesamte Fertigungslinien betrachten und Abläufe schnell verändern könnten, kämen wir an ein Optimum.

Machine Learning also?

Kröger: Reinforcement Learning ist das Schlüsselwort dafür. Ein Produktionsplaner könnte diese Aufgabe nur sehr schwer erfolgreich lösen. Wir verringern also Taktzeiten und sparen in den Anwendungen Roboter oder Energiekosten. Aber nochmal: Das ist Forschung – und bedeutet derzeit noch ein hohes Investitionsvolumen.

Ein gutes Stichwort, wie teuer sind denn KI Projekte, Herr Schulz?

Schulz: Für Anwender eine entscheidende Frage. Der Entwicklungsaufwand für künstlich intelligente Algorithmen ist oft relativ hoch. Aber in vielen Fällen lohnt sich die Anwendung auch finanziell. Zum Beispiel die prädiktive Wartung für Windenergieanlagen: kann man durch die Anwendung von KI die Stromentstehungskosten auch nur um 1 Prozent senken – und das ist unserer Erfahrung nach selbst mit einfacheren Algorithmen möglich – dann haben sich die Investitionskosten für den Betreiber eines Windparks bereits nach einem Jahr gelohnt.

Große Maschinenbauunternehmen arbeiten schon in ersten Projekten mit Daten von realen Maschinen, erzielen aber nur kurzfristige Effekte.

Kröger: Das Problem ist, dass oft ein ROI von zwei bis drei Jahren erwartet wird. Das ist für viele Anwendungen noch eine Illusion. Predictive Maintenance, zum Beispiel, ist ein kleiner Bereich der Forschung. Das langfristige Potenzial ist um ein vielfaches größer.

Warum ist prädiktive Wartung so eine große Herausforderung?

Schulz: Obwohl Maschinen hochgradig deterministisch agierende Objekte sind, ist eine langfristige und verlässliche Prognose von Verschleiß und Funktionalitätsverlusten nicht durch einfache Regeln definiert – das liegt einfach an der komplexen Struktur einer Maschine. Um aber trotzdem relevante Aussagen über den aktuellen und zukünftigen technologischen Zustand aus dem verfügbaren Datenstrom von den in oder an der Maschine verbauten Sensoren zu erhalten, bedarf es ausgefeilter Algorithmen, um die oft stark fehlerbehafteten Sensorinformationen zu bereinigen.

Für alle KI Projekte sind Daten essentiell. Genau da ist die Industrie aber heikel.

Kröger: In Deutschland kämpfen wir mit einigen Problemen: Daten aus der Robotersteuerung sind kaum einsehbar, und wenn wir sie haben, ist die Frage: Wem gehören sie? Beim Thema Datenschutz haben wir eine andere Einstellung. Die Unternehmen müssen dem Kunden den Nutzen darstellen, damit er Daten preisgibt. Das erfordert ein Umdenken, neue Geschäfts- oder Vergütungsmodelle.

Sie alle kennen die Warnungen von Elon Musk, Bill Gates und Stephen Hawkins über die Machtübernahme durch eine KI. Das ist nicht irgendwer und deren Kritik wiegt schwer. Reine Angstmacherei?

Kröger: KI ist ein Buzzword. Maschinelles Lernen ist ein Tool, es ist keine Magie, kein Allheilmittel. Die Sorge, dass Maschinen das Denken übernehmen ist unbegründet. Davon sind wir noch Generationen entfernt. Darum teile ich auch nicht die Kritik und die Warnungen, die von Musk, Gates und Hawking ausgesprochen wurden.

Schulz: Wir haben praktisch schon zwei solcher Wellen hinter uns, in denen KI zum Schlagwort wurde und wir erleben gerade die dritte. Zunächst in den 60-Jahren nach der Dartmout-Konferenz. Dann noch einmal in den späten 80-Jahren und eben jetzt. Jedes Mal war der Begriff KI an überspannte Erwartungen gekoppelt und im Zuge dann auch mit ebenso überspannten Horror-Szenarien. Für den Entwickler ist KI zunächst einmal solides Handwerk mit ganz nüchternen Mitteln. Aber es wird von Anwendern gelegentlich als magisch wahrgenommen. Nicht zuletzt, weil uns Science-Fiction genau so etwas suggeriert.

Herr Hochreiter, was sagen Sie zu dem kürzlichem Hickhack zwischen Elon Musk und Marc Zuckerberg, wo Ersterer vor den KI-Machenschaften des anderen warnt.

Hochreiter: (lacht) Elon Musk übertreibt manchmal ein bisschen. Natürlich hat Marc Zuckerberg recht. Ich kann den Aufstand auch gar nicht nachvollziehen. KIs, die in ihrer eignen Sprache miteinander kommunizieren, benutzen keine Geheimsprache, sondern eine optimierte Sprache. Wie ein Binärcode, weil das schneller zu übermitteln ist. Das ist eine ganz normale Sache.

Also ist die Angst vor einer KI unbegründet?

Hochreiter: Die Angst, die die Menschen empfinden, das ist Hollywood. Eine Matrix in der Menschen als Batterien dienen, ist Blödsinn. Da gibt es viel bessere Batterien. Auch der Terminator ist Blödsinn. Eine KI hat besseres zu tun, als Menschen zu jagen. Außerdem würden wir, als Schöpfer, nur solche KIs auswählen, die hilfreich und nett sind. Das ist wie bei einer Hundezucht.

Und wenn doch alles schief geht?

Hochreiter: Gegenfrage: Warum sollte sich eine KI in der dünnen Biosphäre der Erde aufhalten? Wasser lässt sie rosten, Lebensmittel braucht sie nicht. KIs würden uns sofort für die Energie der Sonne verlassen. Und warum sollten sie mit uns um Rohstoffe kämpfen, wenn es diese zu Hauf im Asteroidengürtel gibt?

Eine KI würde sich also gar nicht für uns interessieren?

Hochreiter: Bänker interessieren sich für Bänker, Rosenzüchter für Rosenzüchter – warum sollte sich also eine KI für Menschen interessieren? Wir reden auch nicht mit Ameisen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zu den Professoren

Torsten Kröger ist Leiter am Institut für Anthropomatik und Robotik (IAR) . Er ist zudem Gastwissenschaftler an der Stanford University. Kröger hat an der TU Braunschweig Elektrotechnik studiert (Dipl.-Ing.) und 2009 im Fachbereich Informatik promoviert (summa cum laude). 2010 ging er als Dozent und PostDoc an das Standford AI Lab. Von 2014 bis 2017 war als Robotiker und zum Schluss als Bereichsleiter für Robotersoftware bei der zum Alphabet Konzern gehörigen Firma X: The Moonshot Factory tätig.

Michael Schulz ist Gründer und Geschäftsführer der IM&P. Er hat Physik studiert, an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Theoretischer Physik promoviert und habilitiert. Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Ulm und Konstanz sowie an der Technischen Universität Chemnitz. Von 1996-2000 hatte er eine Heisenberg-Professur inne. Gastprofessuren an der State University of New York und der Karls-Universität in Prag.

Sepp Hochreiter leitet das Institut für Bioinformatik der Johannes Kepler Universität in Linz. Er ist ein Pionier des boomenden Forschungsfeldes Deep Learning. Bekannt wurde Prof. Hochreiter durch die Entdeckung und Entwicklung von “Long Short Term Memory” (LSTM) in seiner Diplomarbeit im Jahre 1991, welche später 1997 publiziert wurde. In jüngster Zeit hat sich LSTM zur besten Methode für Sprach- und Textverarbeitung entwickelt, wo es neue Rekorde aufstellte. Seit 2012 wird LSTM in Google’s Android Spracherkenner verwendet.