Andreas Syska : Kennen Sie dieses Opfer der Digitalisierung?

Syska
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Mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Erschrecken sehe ich, wie derzeit viele selbsternannte Digitalisierungsexperten auf einer imaginären Tribüne sitzen und den digitalen Wandel wie eine Sportveranstaltung beobachten. Manche schließen Wetten darauf ab, wer Sieger oder Verlierer sein wird oder machen Spielanalysen, die auf empirischen Daten beruhen. Andere wiederum rufen gute Vorschläge auf das Spielfeld oder bieten sich als Trainer an. Dabei haben sie nicht verstanden, dass sie selbst Teil des Spiels sind. Sie unterschätzen die Auswirkungen des digitalen Wandels massiv. Denn es geht nicht um die Digitalisierung des Bestehenden, sondern um seine fundamentale Umwälzung.

Human Ressource wird verlieren

Wie wäre es mit einer kleinen Aufzählung? Human Resource (HR) schreibt derzeit mit Begeisterung Qualifikationspläne, weil es glaubt, Dirigent des digitalen Wandels zu sein. Dabei ist es sein erstes Opfer. HR will wissen, wo und wann Arbeit stattfindet. Auch braucht HR die Unterscheidung zwischen eigenen Mitarbeitern und denen der anderen. Die Digitalisierung aber beendet die räumliche und zeitliche Begrenzung von Arbeit und verwischt den Unterschied zwischen intern und extern. Der Betrieb im klassischen Sinn wird dem Netzwerk weichen. HR als stabilisierendes Element starrer Organisationen kann damit nicht umgehen und verliert somit seine Existenzgrundlage.

Der obsolete Betriebsrat

Wo es keine Betriebe mehr gibt, gibt es natürlich auch keine Betriebsräte mehr. Die Digitalisierung bedeutet ihr Ende und damit das der Gewerkschaften, da ihre Art der Interessenvertretung von Arbeitnehmern auf der Präsenzkultur des 19. Jahrhunderts basiert. Nicht dass Interessensvertretung zukünftig überflüssig wäre, wer aber den hoffnungslosen Versuch unternimmt, die Realität so lange zu verbiegen, bis sie zum eigenen Vertretungsmodell passt, dessen Zeit ist nun einmal abgelaufen. Ach ja: Und wo es keine Betriebe mehr gibt, da gibt es natürlich auch keine Betriebswirtschaftslehre mehr. Seit langem schon liefern ihre Modelle keine brauchbaren Antworten mehr - nun macht die Digitalisierung die Modelle selbst obsolet.

Der obsolete Buchhalter

Und wenn Dank Blockchain digitale Zahlungsströme in Echtzeit erfasst und gespeichert werden braucht auch es niemanden mehr, der kontiert – also den Buchhalter. Auch niemanden mehr, der das Kontierte addiert, sprich: den Controller. Erst recht braucht es niemanden, der abschließend kontrolliert, ob richtig kontiert und addiert wurde, also den Wirtschaftsprüfer.

Der obsolete Verkäufer

Es braucht auch niemanden mehr, der kauft und verkauft, da Maschinen rechtsfähige Subjekte sein werden und eigenständig Verträge abschließen dürfen. Schlechte Zeiten also für Verkäufer, Einkäufer und Wirtschaftsjuristen. Ganz nebenbei: bei allgemein verfügbarem Wissen, das in recht naher Zukunft auch direkt in unsere Hirne übertragen wird, ist es auch kein Zukunftsmodell, sich in einen Hörsaal zu stellen und Dinge vorzulesen, die jemand anders vor Jahren aufgeschrieben hat. Alle diejenigen, deren Geschäftsmodelle auf Wissensvermittlung basieren, sollten alarmiert sein.

Mir scheint, dass dies alles noch nicht verstanden ist. Anders kann ich mir nicht erklären, dass selbsternannte Treiber der Digitalisierung nur mit der Verbesserung des Bestehenden argumentieren. Digitalisierung ist aber nicht der Booster für unsere Art des Wirtschaftens, sondern ihr Show Stopper. Die eigentliche Revolution hat noch gar nicht begonnen.