Kommentar : Industrie 4.0: Warum ich auf das digital-transformatorische Kreuzfeuer stehe

Elisabeth Biedermann
© Christian Joainig

Nicht nur Unternehmer sind zunehmend genervt von den „digital-transformatischen Euphorikern“, die inflationär ihre 4.0-Weisheiten hinausposaunen. Mittlerweile vergeht kein Tag, wo wir nicht mit Begriffen wie Industrie 4.0, Digitalisierung und dem Internet der Dinge konfrontiert – manche möchten fast schon sagen „belästigt“ – werden. Warum ich dennoch an dem Begriff festhalte? Intern nennen wir es gerne „das-Alles und-nichts-Gedudel“. (Ja das gibt es wirklich!) Ein Begriff, der alles sagt und doch nichts meint. Denn Industrie 4.0 umfasst vom smarten Sensor bis zum intelligenten Algorithmus, eigentlich alles, was die Maschine der Zukunft in ein digitales Abbild transformiert, womit sie sich selbst steuert und schlussendlich eine clevere Mensch-Maschinen-Interaktion schafft. (Sagt doch alles oder doch nicht?) Und was wäre besser geeignet, um eine industrielle Revolution/Evolution (wie auch immer) zu beschreiben, die zum ersten Mal in der Geschichte von Verbänden und der Politik geboren wurde und deren Ausmaße noch nicht ganz greifbar sind?

Der inflationäre Gebrauch als Schlüssel?

Natürlich halte ich nichts von leblosen Begriffskaskaden, die mich in einen 4.0-komatösen Zustand versetzen, wie folgendes Zitat eines deutschen Ministers letztes Jahr: „Die Digitalisierung revolutioniert Wirtschaft und Gesellschaft in einem disruptiven Prozess, diese historische Transformationsphase schreibt die Wirtschaftsgeschichte industrialisierter Volkswirtschaften neu.“ (Öhm uff ja eh) Wer das liest, braucht keine Schlafstörungen mehr zu fürchten. Freilich ist es viel einfacher, möglichst generisch in der Ausdrucksweise und damit gewissermaßen unverbindlich im Inhalt an sich zu bleiben. Aber solche leeren Floskeln schießen deutlich am Ziel vorbei. Wenn ich vom Service 4.0 oder der Maschine 4.0 schreibe, dann zuallererst wegen der Google-Relevanz. (Hab ich jetzt nicht ehrlich geschrieben oder?) Zweitens, weil sich jeder darunter etwas vorstellen kann. Jeder weiß, dass Service 4.0 wahrscheinlich für neue Geschäftsmodelle stehen wird, dass eine Maschine 4.0 ein vernetztes Ding mit dem Internet ist. Und darum geht’s doch – oder nicht? Industrie 4.0 als ein Begriff, dessen Erfolg in seinem inflationären Gebrauch steckt. Aber Achtung, ich will hier nicht digitale Fanatiker beschwören. Es gibt nunmal leider keine smarten Bohrlöcher, keine intelligenten Hutschienensysteme oder transformatorische Kabel, die sich selbst den Weg durch die Fabrik der Zukunft legen beziehungsweise jenen einen Sensor, der zum intelligenten Algorithmus-Beherrscher für Big Data wird.

Wer sind die Industrie-4.0-Technokraten?

Wer sind also die Industrie-4.0-Technokraten im dunklen Anzug, die den Begriff in eine digitale Leerformel verwandeln? Gibt es diese selbsternannten Experten, die schon jetzt die exakten Potenziale kennen, die durch Digitalisierung und Vernetzung entlang der sogenannten Wertschöpfungskette entstehen? Leider ja, die gibt es. Visitenkarten, die mit dem Appell „Ich mach Industrie 4.0“ in die Hand gedrückt werden, gibt es nach wie vor. Zumindest eine freut das noch: Die Rundablage. Wobei ich glaube beobachten zu können, dass diese "4.0-Macher" zunehmend vorsichtiger mit ihren Aussagen werden. Denn Beraterlinge, die glaubten, mit Industrie 4.0 ihren nächsten großen Coup zu landen, sind längst aufgeflogen. Alter Wein in neuen Schläuchen trinkt sich eben doch nicht so gut.

Im digital-transformatorischen Kreuzfeuer

Gelob ich mir hier die bodenständigen Techniker? Ja, das tu ich. Auch wenn ich bei Erwähnung der Ziffern 4 und 0 Gefahr laufe ins technische Kreuzfeuer zu geraten, sind es doch jene, die diese Visionen in Lösungen gießen. Leider werden sie oft mit einer digitalen Ohnmacht konfrontiert, die es so doch gar nicht gibt. Heraufbeschwört von jenen Technokraten, die den wirtschaftlichen Pleitegeier schon über vielen nicht-digital-fanatischen Fertigungsbetrieben kreisen sehen wollen. Industrie 4.0 ist eine Welle, die alle erfassen wird - davon bin ich überzeugt. Wie und in welchem Ausmaß wird aber bei jedem anders sein. Und nein, es gibt keine „Wehe-wenn-nicht-Prognose“ zum Schluss, das überlass ich lieber den digital-transformatischen Fanatikern.