Robert Weber : Fußball-WM: Das Vorrundenaus der Industrie?

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Überheblich, langsam, unkoordiniert, unmotiviert, überrascht - wer so spielt verliert sein Auftaktspiel bei der Fußballweltmeisterschaft. Deutschland hat es jetzt erwischt. Die Mexikaner haben das Team ausgekontert. In Deutschland haben wir nun eine Diskussion über die Leistung der Mannschaft und die Einstellung der Spieler und die selbsternannten Trainer strafen ihre Fußballhelden mit schlechten Noten ab - frei nach Lukas Podolski, jetzt müssen wir die Köpfe hochkrempeln. Und die Ärmel natürlich auch. Vor dem Auftakt diskutierte die Boulevardpresse bereits das Verhalten von Özil und Gündogan, die sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan abbilden ließen und die dafür vom Publikum bei jeder Ballberührung ausgepfiffen wurden. Unsere Fußball-Fachkräfte stehen in der Kritik. Unser Fußball-Modell wird hinterfragt.

Mei, so ist das Leben - wer nicht schwitzt, der wird nicht gewinnen. Und dazu kommt: Haste Scheiße an den Stollen, haste Scheiße an den Stollen, frei nach Andreas Brehme aus der Weltmeistermannschaft von 1990. Fußball ist Sport. Oder vielleicht doch mehr? Sind unsere Fachkräfte fit für den globalen Wettbewerb, ist unser Wirtschafts-Modell noch fit dafür? Ist das Auftreten der Nationalmannschaft ein Abbild der Gesellschaft, der Industrie - ist nach dem Spiel noch vor dem Spiel? Ich mag Fußballanalogien und deshalb habe ich mir die schönsten Fußballweisheiten herausgesucht und sie auf die Industrie übersetzt. Und gehe der Frage nach, ob Gary Lineker immer noch Recht hat, wenn er behauptet: Fußball ist ein Spiel von 22 Leuten, die rumlaufen, und am Ende gewinnt immer Deutschland.

Die Stars fehlen

Seit mehreren Jahren brummt die deutsche Industrie. Die Wachstumszahlen übertreffen sich jeden Monat - das mögen manchen in den USA gar nicht. Der Weltmeister des Maschinenbaus ist international begehrt. Stars haben wir wenige, Hidden Champions viele. Das Team ist entscheidend. Gleichzeitig investierte das Team in neue Talente, in die Digitalisierung, in Industrie 4.0, aber das Scouting der Talente war schwierig, auch andere Nationen wissen um die Bedeutung neuer Ideen. Außerdem fehlt das Geld für Forschung und Entwicklung - von privater und von staatlicher Seite. Viele Trainer in der Industrie setzen auf die Erfolgsrezepte aus den letzten Jahren, auf das so bewährte, erfolgreiche Spiel und müssen aber auch schmerzhaft anerkennen, dass die "Kleinen" aufholen und ganz neue Mitspieler das Feld betreten. Aber die Substanz ist immer noch weltmeisterlich, doch der Volksmund weiß, das nächste Spiel ist immer das schwerste.

Das deutsche Jahrzehnt des Aufschwungs nähert sich immer schneller dem Ende. Erinnern Sie sich noch an das Debakel bei der EM 2000 in Holland und Belgien? Damals ging ein Ruck durch den Fußballbund - neue Fördertöpfe wurden aufgemacht, Talentförderung wurde groß geschrieben und mit den Jahren zog eine neue Trainer- und Spielphilosophie ein. So etwas wie New Work auf dem Platz - mit Klinsmann und Löw. 14 Jahren brauchte das Team um dann endlich in Brasilien Weltmeister zu werden. Der Masterplan von Löw ging auf.

So viel Zeit hat die Industrie nicht. Das Vorrundenaus droht bevor die Digitalisierung richtig Fahrt aufnimmt. Die Substanz ist weiter weltmeisterlich, darf uns aber auch nicht überheblich machen. Es braucht für die nächsten Jahre noch ein bißchen mehr. Mehr Training, mehr Geld, mehr Talente. Ein Einwanderungsgesetz für neue Talente ist notwendig, mehr Investitionsanreize von staatlicher Seite auch, Sprunginnovationen, staatliche Unterstützung bei Aufbau von KI-Kooperationen, mehr Ausgaben für Forschung und Bildung und besser ausgestattete Schulen und weniger politischen Vereinnahmung von Industrie 4.0 - gleiches gilt auch für den Fußball und mögliche Besuche von Politikern. Das hört sich schwierig an. Und Jupp Derwall wusste es bereits in den 70er Jahren: Fußball ist kein einfaches Spiel. Am Ende darf es nicht so Ende wie Trainer Peter Neururer zusammenfasst: Wir waren alle vorher überzeugt davon, daß wir das Spiel gewinnen. So war auch das Auftreten meiner Mannschaft, zumindest in den ersten zweieinhalb Minuten.

Das Auftaktspiel ging verloren, doch es bleibt noch Hoffnung aus eigener Kraft weiterzukommen. Frei nach Oliver Kahn: Eier, wir brauchen Eier!