Marktentwicklung : Digitalisierung: Braucht die Industrie dafür Open Innovation?

Reinhard Willfort
© Innovation Service Network

Warum verschenkte Elon Musk Teslas Patente? War er verrückt? Nein, dahinter stand ein ganz rationales Kalkül. Denn wer nach disruptiver Innovation giert, muss den eigenen Innovationsprozess für Externe öffnen. Es braucht ein Maß an Instabilität, davon sind Innovationsexperte wie Reinhard Willfort überzeugt. Der Geschäftsführer von Innovation Service Network (ISN) ist Experte zu Open Innovation und Mann der ersten Stunde, wenn es um Crowdfunding in Österreich geht. Für ihn ist klar: Hiesiger Industrie fällt es schwer Wissen zu teilen. Immer wieder erlebt er, dass große Unternehmen zwar nach neuen Geschäftsmodellen gieren, sich aber nicht nach außen öffnen wollen. „Tun sie es doch, ist der erforderliche Kulturwandel oftmals eine Hürde“, so Willfort. Denn Hierarchie ist nun mal out. Sich öffnen in. Freilich steigt hier das Risiko, dass Wissen abfließt. „Ein Unternehmen muss damit selbstbewusst umgehen können“, mahnt er. Und genau da plagen die Industrie Zweifel. Zu Recht?

Was ist Open Innovation?

Open Innovation ist die Öffnung des Innovationsprozesses für Kunden, Mitarbeiter, Wettbewerber oder Netzwerkpartner. Den Begriff prägte der Wirtschaftswissenschaftler Henry Chesbrough. Neu war die Idee allerdings nicht, aber der Namen gut und damit stieg die Aufmerksamkeit. Zwei Hauptstrategien lassen sich dabei unterscheiden: Einerseits kann man Wissen ins Unternehmen holen (Outside-in-Open Innovation). Sprich vom geistigen Eigentum anderer profitieren und damit eigene Produkte oder Dienstleistungen entwickeln. Andererseits kann das eigene Fachwissen Dritten zur Verfügung gestellt werden (Inside-out-Open Innovation), um Wissen und Patente gewinnbringend zu verwerten. Paradebeispiel für Letzteres kommt eben von Tesla-Gründer Elon Musk. Er hat seine Patente veröffentlicht und damit anderen die Chance gegeben dieses Know-how zu nutzen. „Dahinter stand die tiefe Überzeugung, dass sich mit diesem Wissen der Markt in die richtige Richtung bewegen kann“, so Willfort.

Instabilität ist unerwünscht

Warum Open Innovation manchen Unternehmen so schwerfällt, erklärt sich Willfort mit dem Wunsch nach Stabilität. „Firmen tun sich immens schwer neue Lösungsmuster zu erzeugen“, meint er. Open Innovation setzt Instabilität voraus. Man muss dafür neue Organisationsformen einführen und Hierarchien ausschalten. „Erst dann können Leute miteinander netzwerkorientiert an Lösungen arbeiten“, so Willfort. Übrigens: Für solche Modelle muss man nicht in die Ferne blicken. Auch Keba hat vor kurzem seine Organisationsform geändert. „Führen ohne Chef“ ist bei den Linzer Automatisierern angesagt. Es gibt keine klassische Führungskraft mehr, wohl aber Leader, die je nach Aufgabe wechseln können. Ein Tool zeigt sofort an, wer welche Rolle innehabe. Es ist aber kein Modell, wo alle überall "mitquatschen" – denn ein oberster Kreis synchronisiere und stimme immer noch ab. Jede Zelle hat einen Zweck zu erfüllen und Ziele. Es gehe darum, dass sich Mitarbeiter mit ihren vollen Fähigkeiten einbringen können und Spaß daran haben. „Sie sollen ihre berufliche Erfüllung finden", heißt es aus Linz.

Kulturschocks pflegen

Ein anderer Weg, den viele Industriebetriebe derzeit betreten, ist kein unbekannter: Waren vor zehn Jahren Start-ups für große Unternehmen noch uninteressant, sucht momentan jede zweite große Firma nach ihnen. Für Willfort versuchen Industriebetriebe damit das eigene Innovationsproblem zu lösen. Die Start-up-Kultur zuzukaufen, ist zwar verführerisch – „sie löst aber das Grundproblem nicht“, warnt der Innovationsexperte. „Fehlendes Innovationsgeschehen kann damit nicht kompensiert werden.“ Den notwendigen Veränderungsprozess braucht es trotzdem. Gerade in stark hierarchischen Organisationen stellt Open Innovation Prozesse und Abläufe auf den Kopf. Die Unternehmenskultur vieler Betriebe ist nicht darauf ausgerichtet mit der Außenwelt zusammenzuarbeiten oder sogar Wissen zu teilen. Die Folge: Das „Immunsystem“ dieser Organisation reagiert schnell und verhindert, was es zu verhindern gilt. Ein klassisches Symptom: „Not invented here!“ Was nicht aus dem Unternehmen kommt, wird auch nicht akzeptiert. „Entscheider müssen einen Fokus für ihr Unternehmen finden“, mahnt Willfort. Das können sowohl neue Geschäftsmodelle sein als auch die Steigerung der bisheriger F&E-Leistungen.

Welche Methoden es gibt

Wenn das Ziel klar ist, geht es darum die geeignete Methode zu finden. Aber wie? In erster Linie geht es um die geeigneten Instrumente zur Wissensproduktion. Crowdsourcing bringt wertvolle Erkenntnisse vom Markt und den Kunden. Die Kooperation mit anderen Unternehmen reduziert Entwicklungskosten und liefert Zugang zu externen Fachkräften. Die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen ermöglicht die frühe Nutzung von Erfindungen. Mit der Methodenwahl definiert das Unternehmen gleichzeitig seine Rolle: Dominant, gleichberechtigt oder ganz offen.

Das Wissen vom Markt anzapfen

Verlockend an Crowdfunding sind die sehr belastbaren Aussage über den Markt. Sie reduzieren das Risiko bei einem Markteintritt. Das Vorgehen von der Ideenfindung zur Markteinführung ändert sich dabei. „Früher hat man sich das Geld von der Bank geliehen, die Idee realisiert und erst dann gesehen wie der Markt reagiert. Die Umkehrung von diesem Entwicklungsprozess ist das Spannende: Erst wenn die Innovation von Kunden vorfinanziert ist, wird sie gebaut.“ Mit einer einfachen Umkehrung des Prozesses ist es jedoch nicht getan, wie Willfort aufzeigt: „Klarerweise gibt es bei einem solchen Vorhaben zahlreiche rechtliche Fragen zu klären. Und, Crowdfunding sollte immer gemeinsam mit anderen Methoden (z.B. Design Thinking Prozess) verwendet werden. Damit wird vorab Marktwissen in das System geholt. Crowdfunding ist aber nicht der letzte Schritt, denn danach geht es darum digitale Geschäftsmodelle zu bauen. „Hier beginnt die Einbindung von „Prosumern“ ins Unternehmen“, erklärt Willfort. Das heißt im Endeffekt, dass sich Kunden bereits in den Produktionsprozess einbringen. Ein gutes Beispiel: Die Adidas Speedfactory in Deutschland. „Damit kommen Themen neuer Arbeitsformen auf Firmen zu, weit weg von aktuellen politischen Diskussion zum 12-Stundentag“, ist der Innovationsexperte überzeugt.

Fünf Punkte die Sie bei Open Innovation beachten müssen

Ziel definieren: Die Open-Innovation-Aktivität verfolgt ein klares Ziel und das muss zu Beginn definiert werden. Es sollte mit Unternehmenszielen und -werten stimmig sein, nur so wirkt das Vorhaben authentisch.

Partnerwahl: Mit welchen Partnern soll künftig zusammengearbeitet werden? Es macht für die Planung des Innovationsprozesses einen Unterschied ob Sie mit Universitäten, Lieferanten, Wettbewerbern, Kunden, Forschungseinrichtungen oder öffentlichen Organisationen zusammenarbeiten.

Spielregeln festlegen: Welche Innovationsaktivitäten sollen Teil der Open Innovation sein? Bei diesem sehr offenen Umgang mit Wissen ist Fairness, Transparenz und eine klare Regelung der Zusammenarbeit von Beginn an von besonderer Bedeutung.

Transparenter Innovationsprozess: Der Innovationsprozesse muss für die Partner transparent gestalten werden, aber gleichzeitig gegenüber Wettbewerbern abgesichert sein.

Kapazitäten planen: Ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen sowie technische Lösungen müssen eingeplant sein. An einer schlechten Planung sind schon viele Projekte gescheitert und das Image leidet darunter.