Adaptive Fertigung : Die Geburt der adaptiven Maschine

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Ein Instagram-Post eines beliebten Influencers reicht – und schon steigt die Nachfrage nach einem bestimmten Produkt rapide an. Allein in der folgenden Stunde bestellen tausende Konsumenten das begehrte Konsumgut. Binnen 24 Stunden ist der komplette Lagerbestand aller Online-Shops aufgebraucht. Sofort erhöhen die Großhändler die Bestellmengen beim Hersteller – und dieser steht schlagartig vor einer unlösbaren Aufgabe: In der Kürze der Zeit kann er die unerwarteten Aufträge unmöglich produzieren.

„Dieses Szenario war bis vor kurzem noch Zukunftsmusik, doch mittlerweile erzählen mir immer mehr Maschinenbetreiber diese Geschichte“, sagt Wlady Martino, Branchenexperte für die Verpackungsindustrie bei B&R. „Wir sind also an einem Punkt angekommen, an dem herkömmliche Maschinen nicht mehr mit den Anforderungen der produzierenden Industrie und letztlich den Anforderungen der Konsumenten mithalten können.“

Vier neue Herausforderungen

Losgröße 1 ist nicht die größte Herausforderung der Produktion der Zukunft“, sagt Martino. „Vielmehr ist es die Kombination aus immer mehr Produktvarianten, die in stark variierenden Losgrößen und sehr kurzfristig produziert werden müssen.“ Ein weiterer Faktor ist der Lebenszyklus der Produkte. Während früher Produkte mehrere Jahre lang einheitlich produziert und verpackt wurden, hat sich dieser Zeitraum teilweise auf ein Jahr oder weniger verkürzt. Saison- oder Aktionsware wird häufig sogar nur wenige Wochen produziert. „Und dann gibt es noch den Extremfall der komplett individuellen Produkte“, ergänzt Martino. Diese werden ein einziges Mal in einer Losgröße von einem Stück hergestellt.

Maschinen sind in den vergangenen Jahren zwar immer flexibler geworden, doch selbst diese Flexibilität reicht für die neuen Anforderungen nicht mehr aus. Werden zum Beispiel die Losgrößen immer variabler und die Variantenvielfalt immer größer, haben Umrüstzeiten einen immer größeren Einfluss auf die Verfügbarkeit und die Produktivität einer Maschine. Daher müssen Maschinen einen Formatwechsel auf Knopfdruck ermöglichen und im Idealfall sogar unterschiedliche Produkte gleichzeitig fertigen können.

„Sind ständig neue Produkte oder Produktvarianten gefordert, müssen Maschinen auch jederzeit fähig sein, Produkte herzustellen, die bei der Entwicklung noch gar nicht bekannt waren“, sagt Martino. „Daher nennen wir dieses Maschinen-Konzept auch adaptive Maschine – Die Maschine passt sich einfach an das jeweils benötigte Produkt an.“ So wird die Zeit bis zur Markteinführung neuer Produkte massiv verkürzt.

Vier Technologien für die Umsetzung

Zur Umsetzung der adaptiven Maschine ist es notwendig, bestehende und neue Technologien zu einer neuen Gesamtlösung zu verschmelzen. Diese Technologien sind im Wesentlichen: Track-Systeme, Vision-Systeme, Roboter und Digitale Zwillinge.

Herkömmliche Maschinen in der diskreten Fertigung arbeiten nahezu ausschließlich sequenziell, das heißt mit einem Transportband und damit synchronisierten Bearbeitungsstationen. Martino ist überzeugt: „Auf dieser Basis lässt sich eine adaptive Maschine nicht umsetzen.“ Daher bilden intelligente Transportsysteme, sogenannte Track-Systeme, das Rückgrat des neuen Maschinentyps. Sie ermöglichen, dass jedes Produkt individuell durch den Produktionsprozess transportiert werden kann. Zudem lassen sich zeitintensive Prozesse parallelisieren, indem der Produktfluss durch Weichen auf mehrere Bearbeitungsstationen aufgeteilt und nachher wieder zusammengeführt wird.

„Mit intelligenten Track-Systemen ist es sogar möglich, Produkte zwischen zwei Shuttles einzuklemmen und so zu transportieren“, ergänzt Martino. Somit kann im Prinzip jedes Produkt individuelle Abmessungen und Formen aufweisen, ohne dass Umrüstungen notwendig sind. Die Software passt einfach automatisch den Abstand der zwei Shuttles an das Produkt an.

Augen für die Maschine

Für eine reibungslose Fertigung ist es erforderlich, dass jedes Produkt exakt reproduzierbar zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer eindeutigen Stelle ist. Wenn die Produkte oder ihre Verpackung jedoch ständig wechseln, wäre es viel zu viel Aufwand, die Mechanik jedes Mal manuell entsprechend anzupassen. „Doch für diese Herausforderung gibt es eine Lösung“, sagt Martino. Ein intelligentes Vision-System erkennt automatisch Form, Orientierung und Größe eines Produktes und kann diese Information in weniger als einer Millisekunde an einen Roboter weitergeben. Der Roboter nimmt das Produkt blitzschnell auf und platziert es mit der gewünschten Ausrichtung auf einem Shuttle eines Track-Systems. „Durch die Kombination dieser Hardware-Technologien in einem System ermöglichen wir völlig neue Ansätze in der Produktion“, zeigt sich Martino begeistert. Diese lassen sich jedoch nur in der Realität umsetzen, wenn auch die benötigte Software zur Verfügung steht.

Digitaler Zwilling ersetzt Prototyp

Neben einer einheitlichen und benutzerfreundlichen Automatisierungs-Software gibt es dabei einen Aspekt, der laut Martino besonders wichtig ist: Die Simulation. „Ohne einen digitalen Zwilling werden wir es nicht schaffen, neue Produkte quasi ohne Umrüstzeiten und Prototypen zu fertigen“, sagt Martino. Der digitale Zwilling ermöglicht es, bereits vor der Produktion den vollständigen Prozess zu simulieren. So lassen sich eventuell auftretende Probleme im Vorhinein erkennen und vermeiden.

„Mit einer adaptiven Maschine können Hersteller von Konsumgütern schnell und wirtschaftlich auf sich ändernde Anforderungen eingehen“, fasst Martino die Vorteile des neuen Maschinentyps zusammen. „Nun werden es Influencer nicht mehr schaffen, Maschinenbetreiber ins Schwitzen zu bringen.“