BMVIT : BMVIT: "Jedes zweite Projekt ist finanzierbar."

Michael Wiesmüller
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Herr Wiesmüller, Professor Wilfried Sihn, Geschäftsführer der Fraunhofer-Austria Research GmbH, meinte einmal Österreich hinke Deutschland um zweieinhalb Jahren hinterher, denn dort hätte die Politik das Thema Industrie 4.0 schon längst viel mehr forciert als bei uns. Schließen Sie sich dem an? Wiesmüller: So allgemein kann ich das nicht bestätigen: Die Frage ist doch hier wohl eher, in welcher Kategorie hinken wir hinterher? Der Begriff Industrie 4.0 mag zwar in Deutschland geboren worden sein und dort wurden auch die ersten Pflöcke gesetzt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie uns in allen Aspekten voraus sind. Sie haben vielleicht die jüngsten Entwicklungen in Deutschland verfolgt, die zu einer Neugründung der deutschen Plattform geführt haben. Der Grund, scheint die geringe Umsetzungsstärke gewesen zu sein. Das 10 Mal kleinere Österreich hat in dieser Frage doch die wesentlich besseren Karten, um seine Kräfte zu bündeln. Und nicht zufällig reiht uns eine Roland Berger Studie in den exklusiven Kreis der EU-Länder, die als Industrie 4.0 Frontrunner zu bezeichnen sind. Sie sehen wir sind also was den Stand der Dinge betrifft eher gleich auf. Wie will sich das BMVIT gegenüber dem Thema Industrie 4.0 positionieren? Was geht da derzeit auf Bundesebene vor sich? Wiesmüller: Wir sind uns mittlerweile alle bewusst, dass Industrie 4.0 einen tiefen industriellen Strukturwandel mit sich bringt. In den nächsten Dekaden werden wir völlig anders produzieren als heute, neue Wertschöpfungsketten werden entstehen, die Arbeitsplätze werden anders aussehen. Die Auswirkungen dieses Strukturwandels werden aber nicht nur die Produktion betreffen, sondern weitreichende Konsequenzen in vielen anderen Bereichen haben wie Ausbildung, Datenschutz, Sicherheit, Rechtsnormen. Es geht also um einen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess, der mittlerweile ganz oben auf unserer Agenda steht. Stichwort Plattform Industrie 4.0. Wie steht es um die bundesweite Geschäftsstelle zu diesem Thema? Wann können wir damit rechnen? Wiesmüller: Wir sind dran. Die Geschäftsstelle -und das unter Vorbehalt des Best-‐Case wird noch vor dem Sommer ihre Arbeit aufnehmen. Träger ist ein Verein, dem das BMVIT, sowie weitere fünf Gründungsorganisationen, die Industriellen Vereinigung (IV), der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI), der Fachverband für Maschinen-und Metallwaren (FMMI), die Arbeiterkammer (AK), sowie die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) angehören werden. Die Mitwirkung von Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder Universitäten an dem Verein ist darüber hinaus aber möglich und ausdrücklich erwünscht. Eine Aufgabe der Geschäftsstelle wird es sein, bundesweit das Thema Industrie 4.0 zu administrieren und zu koordinieren. Müssen sich dadurch regionale Initiativen –wie die Plattform 4.0 in Oberösterreich - Sorgen machen? Wiesmüller: Keineswegs. Diese regionalen Initiativen stellen keinen Widerspruch zur Geschäftsstelle des Bundes dar. In bestimmten Fragestellungen sind zum Beispiel die regionalen Cluster einfach viel näher an den Unternehmen dran. Was wir als Bund tun müssen und worin sicher eine Herausforderung besteht, ist zu identifizieren, was besser auf Bundesebene aufgehoben wäre und was nicht. Dafür gab es bereits intensive Gespräche mit den Standortagenturen der einzelnen Bundesländer. Je mehr Akteure an einem Strick ziehen, desto besser. Entscheidend dabei ist, dass es derselbe Strick ist und alle in die gleiche Richtung ziehen. Das heißt sie wollen dem Initiativenpluralismus in Österreich einen Riegel vorschieben? Wiesmüller: So würde ich das nicht nennen. Die Vielfalt ist im Grunde der Sache selbst geschuldet, denn das Thema 4.0 ist so vielschichtig, dass ein Pluralismus, wie Sie es nennen, nur die logische Konsequenz daraus ist. Ein zentraler Akteur allein, ginge überhaupt nicht. Industrie 4.0 als großer Strukturwandel, das geht weit über die Fördermittelvergabe hinaus. Was wird da derzeit auf Bundesebene unternommen? Wiesmüller: Wir haben vor einem Jahr eine Industrie 4.0-­Plattform ins Leben gerufen, deren Aufgabe es ist diesen Transformationsprozess zu begleiten, Handlungsfelder zu identifizieren und die ausschlaggebenden Rahmenbedingungen zu verbessern. Alle wesentlichen Akteure sind daran beteiligt. Vertreter der produzierenden Industrie als Bedarfsträger, als auch Anbieter von Industrie-4.0-relevanten Technologien, vor allem im Bereich der Automatisierungstechnik-­‐ sowie Arbeitnehmervertreter, die führenden Universitätsinstitute, Interessensvertretungen, die Wirtschaftskammer, Rechtsexperten usw.... Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche: Aber viele Köche verderben doch bekanntermaßen den Brei? Wiesmüller: Naja, in einer Großküche wie Industrie 4.0 werden sie schon mehr als 2-3 Köche brauchen, damit alle satt werden. Wir haben den Prozess in mehrere Arbeitsgruppen mit spezifischen Themen geteilt. Alles in allem haben wir seit dem letzten Frühjahr 15 Sitzungen abgehalten. Pro Gruppe sprechen wir hier von 15 bis 30 Teilnehmern, die von einem Chairman geleitet werden. Die Themen, die wir bisher abgehandelt haben betreffen „Der Mensch in der Produktion der Zukunft“, „FTI-Bedarfe für Industrie 4.0“ sowie „Rahmenbedingungen und Kommunikation“. Demnächst werden wir weitere Themen angehen, unter anderem die Bereiche „KMU 4.0“, „Sicherheit“ und „Neue Geschäftsmodelle“. Noch vor Sommer sollen diese Gruppen an den Start gehen. Sie sehen also: Industrie 4.0 heißt nicht mit einer kleinen trainierten Gruppe einen hohen Berg zu besteigen, sondern ein ganzes Volk über die Alpen zu führen. Heuer befinden sich rund 100 Millionen Euro im Fördertopf der FFG, die damit ihre zwei großen Programme „Produktion der Zukunft“ und „IKT der Zukunft“ puschen will. Aber genau diese Programme beginnen sich doch eigentlich bei dem Thema Industrie 4.0 zu überschneiden. Sollten hier nicht interdisziplinäre Anträge zum Schuss kommen? Wiesmüller: Die jährlichen Gesamtinvestitionen der bmvit-Programme für Industrie 4.0 Themen sind weit höher und belaufen sich auf etwa 120 Mill. Euro. Was die beiden thematischen Flaggschiffinitiativen, die Sie ansprechen betrifft, so haben Sie völlig recht: die digitalen Technologien und die Produktionstechnik wachsen immer stärker zusammen - genau davon sprechen die Schlagwörter „Digital Industries“ oder „Cyber Physical Systems“.. Während die „Produktion der Zukunft“ vollständig auf produktionsrelevante Themen wie Losgröße 1, Modularisierung, Flexibilisierung und Effizienzerhöhung abzielt, fokussiert „IKT der Zukunft“ sich auf die Schlüssel-­‐ und Basistechnologien, wie etwa Cyber Physical Systems, komplexe Systeme, Big Data Management oder interoperable Systeme, von denen sehr viele – aber eben nicht alle – sehr relevant für Industrie 4.0 Fragen sind. Programme der FFG sind wettbewerblich ausgerichtet. Darüber ist nicht jeder glücklich. Wie wollen Sie Opfern von Überzeichnungen helfen? Wiesmüller: Überzeichnungen sind für uns immer ein Indikator dafür, wie unsere Programme ankommen. Sie sind ein Gradmesser für die Mobilisierungskraft eines Programms, und diese ist beträchtlich: letztes Jahr hatten wir fast 500 Einreichende pro Call. Damit künftig mehr Antragsteller auch zum Zug kommen haben wir die Themenauswahl stärker auf die Jahre hinweg verteilt, um unter dem Strich mehr Mittel pro Ausschreibung zur Verfügung zu haben. Gemessen an den Anträgen mit hoher Qualität liegen wir mit den Überzeichnungen etwa im europäischen Mittel liegen. Immerhin können wir jedes zweite Projekt, das von der Jury zur Förderung empfohlen wird, auch finanzieren.