Bionik : Bionik: Die Libellenjäger rücken vor

Libellenjäger
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Alles Libellenjäger und Käfersammler, was wissen die schon vom Maschinenbau. Werner Baumgartner kennt sie nur zu gut, die Vorurteile des klassischen Ingenieurs. Der Vorstand der Medizinmechatronik an der Johannes Kepler Universität nimmt das mit Humor. „Wenn der Ingenieur nicht selber drauf kommt, was er da für eine Fundgrube vor sich hat, ist er selber schuld“, so Baumgartner. „Die Natur hatte drei Milliarden Jahre Zeit ihre Effizienz zu steigern und ihre Ressourcen bestmöglich zu nutzen, warum sollten wir das nicht zum Vorbild machen?“ Die wohl größte Hürde für beide Welten sieht der Professor in der Fachsprache. „Unsere Sprache mag vielleicht manchmal weich und nicht so mathematisch sein, aber da braucht’s dem Maschinenbauer nicht gleich die Haare aufzustellen“, scherzt der Professor für zelluläre Neurobionik. Als durchaus pflegeleicht beschreibt er seine Branche. Das Einzige: Die Industrie muss sich einfach darauf einlassen und offen sein.

Von Knochen und Ameisen.

Werner Baumgarnter selbst arbeitet gerade intensiv mit der voestalpine. „Wir optimieren Stahlträger nach dem Prinzip von Knochen- und Holzwachstum“, erklärt er. Erste Querschnitte werden gerade getestet. Geht es aber um konkrete Ergebnisse der Tests, bleibt Baumgartner diskret und verrät nur soviel: „Sie halten das was sie versprechen und wir konnten Material und Kosten enorm senken.“ Ein weiteres Spielfeld Baumgartners: Die Entwicklung künstlicher glatter Haftorgane, wie sie in der Natur etwa bei Ameisen vorkommen. „Der Punkt ist, dass die Ameise ihre Haftung an und ausschalten kann, wie sie will“, so Baumgartner. Erste Prototypen dieser glatten Haftorgane gibt es bereits. „Sie sind wiederverwendbar und haften auch auf porösem Untergrund wie Porenbeton“, so der Professor. Die zu Unrecht beschimpften „Libellenforscher“ sorgen in vielen Bereichen der Industrie für enorme Fortschritte. Wer seine Tore den Teils skurrilen Sichtweisen der Forscher öffnet, kann nur gewinnen. Factory zeigt Ihnen vier Durchbrüche aus den Bereichen Bionik und Mechatronik.

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Es war der einer der ersten bionischen Durchbrüche. Lange bauten Ingenieure stur nach Standard-Lehrbüchern. Auf Kleinstbauteile, wie die Schraube wurde keine Zeit vergeudet. Brüche durch Belastungsspitzen hingenommen. Und dann kam da ein Baumforscher. Das Markenzeichen von Claus Mattheck ist die John-Lennon Brille. Als Spinner und Wichtigtuer zu Anfang verschrien hat der Biomechaniker es doch zu einer Revolution gebracht. Wie? Indem er Bäume beobachtet hat.

Bäume müssen scharfe Kerben – wie sie bei Schrauben gang und gebe sind – meiden, wegen der Bruchgefahr. Ihre eigentlichen rechten Winkel zur Erdoberfläche vermeiden Bäume mit Hilfe ihrer Wurzeln und flachen das Ganze ab. Auf diese Weise werden potenzielle Bruchstellen durch flache Dreiecke entschärft. Bauteile lassen sich dort verstärken, wo Spannungen hoch und dort schrumpfen wo diese niedrig sind. Angenommen haben das bereits Ingenieure die für Volkswagen und Daimler Achsteile entwerfen. Auch Kurbelwellen von Sägehersteller werden damit optimiert. Es mag ein älteres Beispiel sein, zeigt aber dennoch was ein skurriler Baumflüsterer in der Industrie lostreten kann.

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Für sie sind Waldbrände ein Segen. Australische Feuerkäfer oder auch der Schwarze Kiefernprachtkäfer sind immer dort anzufinden, wo Brände wüten. Sie legen Ihre Eier in das verkohlte Holz. Wenn der Baum kein Harz mehr zur Abwehr produzieren kann, freut das die Larven der Käfer. Aber woher weiß, das Insekt wo gerade ein Feuer wütet? Der Schlüssel sind spezielle Infrarotsensoren. Diese Sensoren sind so empfindlich, dass die Käfer sogar Temperaturunterschiede von wenigen hundertstel Grad wahrnehmen können. Biologen von der Universität Bonn nützen dieses Prinzip für Infrarotkameras.

Aus technischer Sicht fasziniert vor allem, dass alle biologischen Infrarotsensoren vollkommen ohne Kühlung auskommen und auch bei stark fluktuierenden Umgebungstemperaturen zuverlässig arbeiten. Bis heute muss bei besonders empfindlichen Geräten der Chip im Inneren heruntergekühlt werden. Das ist extrem teuer und kostet Energie. Die Idee der neuen „Käferkameras“: Ohne Kühlung gleich gute Ergebnisse erzielen. Ein technischer IR-Detektor wurde bereits entwickelt und patentiert und dient als Prototyp im Bonner-Labor.

Der Schimmfarn.

Die Salviniapflanze soll Schluss machen mit den Drecksschleudern der Transportwelt: Schiffen.

Lotus ist out, Salvinia ist in. Nachdem das Selbstreinigungsprinzip beim Lotus Blatt vor 20 Jahren aufgeklärt wurde, haben Nanowissenschaftler aus Karlsruhe, Bonn und Rostock ein neues Kapitel im Bereich biomimetischer Oberflächen geschrieben: die Entdeckung des Salvinia-Effekts. Der unscheinbare tropische Schwimmfarn kann unter Wasser in seinem Haarkleid eine Luftschicht halten und bleibt dabei völlig trocken. Das technologische Potenzial dieses Effekts soll vor allem bei Schiffsrümpfen Anwendung finden und damit deren Energieverbrauch drastisch reduzieren. Denn wer hätte gedacht, das es gerade die Ozeanriesen sind, die als Dreckschleudern der Nation gelten. Betrieben mit Schweröl sorgen sie für eine gewaltige CO2-Bilanz. Der von dem Schwimmfarm abgeguckte Salviniaeffekt könnte die Reibung von Schiffsrümpfen mit Wasser verringern. Gelänge es den Energieverbrauch von Schiffen um den Faktor zwei zu reduzieren, wäre das Einsparungspotenzial vergleichbar,wie wenn alle Flugzeuge der Welt treibstofffrei fliegen würden. Eine kleine Pflanze, die noch große Möglichkeiten schaffen wird, davon sind die Forscher überzeugt.

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Bionik verbindet man meist mit „Klettverschluss und Lotuseffekt“. Für viele ist das Thema damit schon beendet. „Kenne ich schon“ und „wir haben da keinen Bezug zu“ sind die ersten Reaktionen. Damit ist die Tür, die die Bionik öffnen will, schon geschlossen, nämlich die Offenheit neuartigen Ansätzen gegenüber. Eine Bereitschaft für das Denken außerhalb gewohnter Strukturen. Ingenieure können sich nicht vorstellen, dass sie von der Biologie ernsthaft lernen könnten. Umgekehrt gilt das ebenso. Auch ein Biologe ahnt kaum, dass sein Grundlagenwissen für die Industrie interessant sein könnte.

Die Natur ist nicht immer optimal.

Genau da schafft Bionik eine Brücke zwischen zwei scheinbar unvereinbaren Systemen. Biologie und Technik sind unterschiedlich, aber durch Bionik bekommen sie eine gemeinsame Basis. Bionik ist eine systematische Vorgehensweise, das Lernen von der Natur für die Technik. Zum Glück ist dies keine romantische Vorstellung, mit der Natur als Ideal. Ganz im Gegenteil, die Natur zeigt keine optimalen Lösungen. Aber sie zeigt optimierte Lösungen. Bionik ist also eine Ergänzung zur klassischen Entwicklungsarbeit. Es ist ein Erschließen des Lösungsraums Natur mit seinen Millionen von Arten. Wenn die Natur die Antworten auf die technischen Fragestellungen schon bereithält, dann wäre es doch fahrlässig, sich dieses Wissens nicht zu bedienen. Oder wenigstens den Versuch zu starten, Bionik zu berücksichtigen. Die technischen Entwicklungen sind ein Wimpernschlag in Relation zur Entstehung der Natur. Die Natur hat somit Herausforderungen bereits gemeistert und gelöst. Wer sie zum Lehrmeister nimmt, ist klar im Vorteil.