Produktionstrend : Biologische Transformation: Kommt das nach Industrie 4.0?

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Schon lange bevor es den Begriff "Globalisierung" gab, wurden Produktionen ausgelagert. Den ersten Computer gab es bereits in den 40er Jahren. Der Begriff "Digitalisierung" tauchte aber erst kurz nach 2011 auf. Jetzt will das deutsche Forschungsinstitut Fraunhofer den nächsten Überbegriff gefunden haben, der unsere Welt von Grund auf ändern wird. Die "Biologische Transformation" ist die Nutzung von Prinzipien und Materialien aus der Natur für die menschliche Technik. Klingt nach einer neuen Verpackung für Bionik? Nicht ganz. "Bionik ist nur der erste Schritt", erklärt Patrick Dieckhoff. Der Leiter des Fraunhofer-Hauptstadtbüros ist überzeugt, dass die Biologische Transformation ein ökonomischer Trend ist, der Produktionssysteme wie wir sie heute kennen, völlig verändern wird. Und die ersten Anzeichen dafür sind schon da.

Industrie 4.0 allein wird es nicht schaffen

Wenn die Geburtsstunde von Digitalisierung der erste Computer in den 40er Jahren war, dann ist wohl die Geburtsstunde der Biologischen Transformation die Entwicklung des Klatschmohn-Salzstreuers in den 1920er Jahren. Der Biotechnik-Pionier Raoul Heinrich Francé bemängelte das ungleichmäßiges Streuen des handelsüblichen Salzfässchens. Er entwarf und patentierte daraufhin einen Salzstreuer nach dem Vorbild der Mohnkapsel. Schon seit längerem nimmt Fraunhofer einen verstärkten Einfluss von Biowissenschaften, auch Lebenswissenschaften genannt, auf die Industrie wahr. Wenn also Bionik der erste Schritt ist, dann ist Biotechnologie der Zweite. "Dort nutzen wir Werkzeuge der Natur wie z.B. Bakterien, um individuelle auf das Genom des Patienten abgestimmte Medikamente herzustellen", erklärt Dieckhoff ein Beispiel aus der Pharmaindustrie. Der dritte Schritt, die Biologische Transformation, ist wiederum eine Konvergenz aus Digitalisierung und Biologie und damit der nächste große Sammelbegriff nach Industrie 4.0. Das übrigens für Dieckhoff nur eine Strategie zur Vernetzung für eine effizientere Produktion ist. "Industrie 4.0 allein wird es nicht schaffen. Wir wollen dieser Agenda Nachhaltigkeit zur Seite stellen", so der Fraunhofer-Experte. Die biologische Transformation stellt also ein notwendiges Pendant zur Digitalen Agenda der deutschen Bundesregierung dar und untersetzt diese mit einer nachhaltigen Wachstums- und Innovationsstrategie.

Produktionen unter den Gesichtspunkten der Biologischen Transformation sind:

Dezentral: Keine großen Produktionsstätten, sondern kleine Fertigungshubs vor Ort

Flexibel: Es werden in einer Fabrik völlig unterschiedliche Produkte gefertigt

Resilient: Widerstandsfähig gegenüber Veränderungen, vor allem wenn Rohstoffe knapp werden

Demokratisch: Vernetzte Fertigungshubs werden von verschiedenen Herstellen genutzt

Nachwachsende Rohstoffe und selbstorganisierende Fabriken

Außer Dampfern, die mit Haihaut am Rumpf schneller durch die Meere flitzen und Roboter-Greifern, die wie ein Rüssel eines Elefanten funktionieren, gibt es noch ganz andere Beispiele: "3D gedruckte Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen wie Polylactide", so Dieckhoff. Polylactide, umgangssprachlich auch Polymilchsäuren (kurz PLA) genannt, sind synthetische Polymere, die aus vielen, chemisch aneinander gebundenen Milchsäuremolekülen bestehen. Generell gilt das Produktionsverfahren der additiven Fertigung als Nachahmung der Natur, weil hier Dinge "wachsen" und damit weniger Reststoffe anfallen.

Wertschöpfung liegt nicht mehr in der Produktion

Doch die Vision der Biologischen Transformation von Fraunhofer geht noch viel weiter. Eine Vision, die noch völlig "abgefahren" klingt, aber deren erste Anzeichen wir schon kennen. Dieckhoff und sein Team sprechen von selbstorganisierenden Fabriken, wo Maschinen sich selbst replizieren, organisieren und optimieren. "Es wird nicht mehr eine große Fabrik geben, die nur Turnschuhe produziert", so Dieckhoff. "Vielmehr wird es viele, kleine vernetzte Produktionshubs geben, die sich flexibel den jeweiligen Rohstoffen vor Ort anpassen." So ein "Fabrikhub" wird dann nicht nur Turnschuhe, sondern auch Aluminiumbauteile für Automobile produzieren. "Die Wertschöpfung liegt nicht mehr in der Produktion, sondern in der DNA der Produkte", so Dieckhoff. Künftig wird nur mehr mit Herstellungsanleitungen für Produkte Geld zu verdienen sein. Und die ersten Anzeichen dafür gibt es bereits: Nicht umsonst boomt das Lizenzgeschäft, entstehen sogenannte "Druckerfarmen". Geht es nach Fraunhofer sind Fabriken, wie wir sie heute kennen nur mehr ausführende Elemente. Wie ein Lohnfertigungsbetrieb können sie von verschiedenen Herstellern genutzt werden.

Erster Informationsworkshop auf der Hannover Messe 2018

Von der großen Vision zurück in die Gegenwart. Auf der diesjährigen Hannover Messe will Dieckhoff das Thema erstmalig der breiten Öffentlichkeit präsentieren. Abgeholt werden sollen Ingenieure für die nächsten fünf bis zehn Jahre. "Das bezieht sich vor allem auf Materialien und Oberflächen", so Dieckhoff. Dass man dort anfangen will, wo es bereits konkrete Szenarien gibt, ist klar. Dass aber bei 3D-Druck, Lotuseffekt und Schwarmintelligenz von Robotern noch lange nicht Schluss ist, wohl auch. (eb)