Industrie 4.0 : Becom Electronics: Die Maschinenflüsterer
Johann Katona war gerade in einer Managementklausur, als sein Vorgesetzter mit der Tür ins Haus fiel: „Industrie 4.0 – schon gehört?“, tönte der Geschäftsführer von Becom Electronics aufgeregt. Er war gerade zurück von einem Kongress und ganz aufgeregt. „Da sind wir mittendrin.“ Denkt der IT-Leiter bei Becom heute an diese Situation zurück, kann er den derzeitigen Hype nur belächeln. Denn eines ist klar: Auch ohne dieses Schlagwort hätte es das Hightech-Unternehmen geschafft, dort zu landen, wo es heute ist.
Ein Entwicklungstraum.
Seit 1985 entwickelt und fertigt Becom im Kundenauftrag elektronische und elektromechanische Baugruppen und Geräte. Von Musterbauten über Nullserien bis hin zur Serienproduktion zählen Hunderte Produkte zum Portfolio der Burgenländer. Das Problem: Aufgrund unterschiedlicher Standards und inkompatibler Schnittstellen konnten die Maschinen bisher nicht miteinander kommunizieren. „Wir haben keine Linienfertigung im klassischen Sinn. Bei uns laufen die Produkte von einer Station in die nächste“, erklärt Katona. Eine entscheidende Schwachstelle. Denn jede einzelne Maschine entlang eines hoch komplexen Produktionsprozesses generiert zwar, für sich genommen, enorme Datenmengen, die wichtige Informationen zu ihrer individuellen Leistungsfähigkeit geben, diese konnten bisher jedoch nicht im Kontext des gesamten Workflows betrachtet werden.
Das heißt mit anderen Worten: Jede Maschine und ihr Output mussten bisher einzeln kontrolliert und überwacht werden. Fehlfunktionen von Maschinen konnten nur mit Verzögerung erkannt und beseitigt werden. Eine Echtzeit-Betrachtung war ein reines Wunschkonzert. Nächster Schwachpunkt: die mangelnde Traceability der Produkte. „Wir wollten eine nahtlose Nachverfolgung von Bauteilen in beide Richtungen haben“, so Katona. „Von ihrer Entstehung bis zu ihrem endgültigen Einsatzort. Das ist vor allem bei Reklamationen, Reparaturen und Wartung wichtig.“
Die große Eintrittskarte.
Maschinen sind schlau genug, um ihre eigenen Fehler zu erkennen. Gezähmte Datenflüsse, die sich nicht in einem Meer verlaufen, sondern punktuell als nutzbares Muster zur Verfügung stehen. Das ist immer noch der Entwicklungstraum bei Becom, der im Burgenländer Werk aber bereits seit 2008 sehr fein gesponnen wird. „Schon damals haben wir mit einer neuen DataWarehousing-Lösung die notwendige Grundlage dafür geschaffen“, so Katona. Doch der IT-Leiter will noch mehr. Sein strategisches Ziel: defekte Produkte so früh wie möglich aus dem Produktionsprozess ausschleusen zu können. Unter dem Deckmantel Big Data suchte er nach einem Partner, der eine offene Lösung liefern konnte. „Kein leichtes Unterfangen“, gibt Katona heute zu. Insellösungen gab es wie Sand am Meer, doch fürchtete der IT-Leiter die damit verbundenen Schnittstellen. „Deshalb wollte ich alles aus einer Hand“, so Katona. Fündig wurde man bei IBM.
Das System wächst täglich.
Seit ein paar Jahren zieht eine Big-Data-Lösung des Softwareriesen die Produktions- und Datenfäden. „Ausschlaggebend dafür waren vor allem die hohe Flexibilität und individuelle Konfigurierbarkeit dieser Software“, begründet Katona seine Entscheidung. Der Einsatz von Big-Data-Tools verlangt in jedem Fall maßgeschneiderte Lösungen. „Von der Stange funktioniert das nicht“, warnt der IT-Leiter. Implementiert und angepasst wurde das System von IBM-Businesspartner imposult. "Becom gehört zu den Vorreitern bei der Umsetzung eines solchen Projekts", so Thomas Kindl, Geschäftsführer von imposult. Mithilfe eines Intranets gelang es, sämtliche Tools miteinander zu verknüpfen. Greift der Mitarbeiter heute auf das ERP-System zu, glaubt er zwar, im ERP-System zu sein, „ist aber eigentlich Teil des Ganzen“, so Katona.
Zunächst wurden nur wenige Produktionsprozesse zusammengeführt. Erste Ergebnisse wurden sehr kritisch unter die Lupe genommen. Heute wird jede neue Maschine in das System integriert. „Wir konnten unseren Ausschuss zu einem hohen Prozentsatz reduzieren“, freut sich Katona. Schichtleiter bekommen nun auf Knopfdruck bei Arbeitsbeginn eine Statusmeldung des Prozesses. „Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten, kann gleich reagiert werden“, erklärt er weiter.
Von anfänglichen 3.000 Datensätzen pro Woche ist bei den Burgenländern schon lang nicht mehr die Rede. Das System wächst – und das jeden Tag. Heute spricht Katona von mehr als 110.000 Datensätzen pro Tag. „Wer sich hier keine offene und mitwachsende Lösung sucht, fährt gegen die Wand“, warnt der IT-Chef. Datendompteur IBM habe das geschafft und lässt die Grenzen bei Becom nach oben hin offen. Big Data ist für Katona nicht viel mehr als ein riesiges Portfolio, aus dem man sich bedienen kann. Eine durchaus treffende Beschreibung. Wer es also schafft, seine Daten zu zähmen, kann seinen Maschinen die Gabe der Sprache verleihen. Zukunftsmusik ist das zumindest im Burgenland schon lange nicht mehr.