Hidden Champion : Atzlinger: Österreichische Bremssysteme erobern den Osten

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Warum macht ein Valpadana-Traktor auf seinem Weg vom Werk in Italien zum Kunden in Ungarn einen Zwischenstopp in Niederneukirchen? Richtig, weil dort ein Spezialist für Druckluftbremsanlagen seinen Sitz hat. Damit ausgestattet darf der Traktor auch Lasten ziehen, die sechs Tonnen übersteigen. Rund 4.000 solcher Anlagen produziert die Atzlinger GmbH pro Jahr. 45 Prozent davon gehen in den Export. Für Geschäftsführer Herbert Atzlinger war die EU-Osterweiterung damit ein Glücksfall. „Dort wurde immer schon mit Druckluft gebremst, weil die Traktoren aus sowjetischer Produktion damit ausgerüstet waren“, nennt er den wichtigsten Grund für den Erfolg seines Unternehmens. Als dann in der Landwirtschaft russische Fabrikate durch Traktoren von Steyr, Case New Holland oder John Deere ersetzt wurden, mussten diese natürlich für die luftgebremsten Anhänger nachgerüstet werden. Während Mitbewerber meinten, den Markt auch mit schnellen Universallösungen bedienen zu können, haben sich die Niederneukirchner höchster Qualität verschrieben. Was ihnen binnen kürzester Zeit volle Auftragsbücher bescherte. „Wir haben von Anfang nur die besten Kompressoren verwendet und hochwertige Aggregate verbaut“, so Atzlinger. Abgestimmt auf mögliche Zusatzausstattungen der Traktoren habe man mittlerweile tausend verschiedene, passgenaue Varianten für unsere Druckluftbremsanlagen entwickelt. Jetzt hat sich der Familienbetrieb mit einer Neuentwicklung einen Großauftrag gesichert.

Großauftrag für Teleskoplader

In Kürze sind die ersten Teleskoplader eines bekannten Landmaschinenproduzenten mit einem Druckluftbremssystem von Atzlinger am Markt. Noch darf Herbert Atzlinger keine Auskunft darüber geben, in welchen Teleskopladern die Druckluftbremssysteme aus Niederneukirchen schon bald arbeiten werden. „Das ist eine nicht ganz typische Anwendung und war für unsere Konstrukteure anfangs eine gewisse Herausforderung“, erklärt der Geschäftsführer des 1890 gegründeten Unternehmens. Über Jahre hatte man mit dem namhaften Produzenten an kleineren Projekten gearbeitet. Jetzt ist die Atzlinger-Technologie in der Serienfertigung gelandet. „Derzeit laufen die ersten großen Stückzahlen vom Band“, freut sich der Firmenchef. Das wird sich nicht nur auf den Umsatz, der zuletzt bei 10 Millionen Euro lag, sondern auch auf die Mitarbeiteranzahl auswirken. „Wir werden den Personalstand von derzeit 60 mittelfristig auf 80 Mitarbeiter aufstocken“, so Atzlinger. Wachsen wird damit auch das Konstruktionsteam, das schon bisher extrem gefordert war.

„Mother Regulation“ als konstruktiver Dauerlauf

Zwischen 6.000 und 15.000 Euro investierte der Betrieb jeweils in die Entwicklung eines Bremssystems für ein neues Traktormodell. „Alleine 2.000 Euro kostet die TÜV-Überprüfung, der Rest geht in die Konstruktion, Dokumentation und Herstellung eines Prototypen“, erklärt Atzlinger. Da die Nachrüstung eines einzelnen Traktors rund 5.000 Euro kostet, braucht es gerade bei kleinen – und kostengünstigeren – Traktoren entsprechende Stückzahlen, um eine wirtschaftliche Aufrüstung anbieten zu können. „Umso kleiner ein Traktor ist, umso kniffliger ist es für unsere Konstrukteure, im Motorraum und am Heck das Bremssystem unterzubringen“, erklärt er. Immerhin müssen dort der Luftbehälter und Kompressor, der Druckregler, die Frostschutzpumpe, der Kupplungskopf und das Anhängersteuerventil verbaut werden. Rund 8 Bar Luftdruck stellt das System den Bremskraftreglern im Anhänger zur Verfügung. Abhängig vom Beladungszustand regeln diese die Bremskraft, die der Bremszylinder schließlich auf die Bremse überträgt. Bei den rund 5.000 verschiedenen Modellen, die von den 20 bis 25 großen Traktorherstellern in den letzten Jahren produziert wurden, ist das Konstruktionsteam gut ausgelastet. „Letztes Jahr hat sich die sogenannte „Mother Regulation“ der EU allerdings zum Dauerlauf für unsere Konstrukteure entwickelt“, so Atzlinger.

Dynamik in einem kompetitiven Markt

Im Rahmen der Verordnung (EU) 167/2013 sind seit 1. Jänner für Traktoren und Anhänger geänderte Vorschriften für das Genehmigungsverfahren in Kraft. „Um diese Vorgaben zeitgerecht zu erfüllen und alle TÜV-Prüfungen zu absolvieren, haben die Niederneukirchner ein halbes Jahr unter Hochdruck gearbeitet. Allein im heurigen ersten Halbjahr wurden schon 50 Neukonstruktionen gemacht. Zum Vergleich: 2017 waren es nur halb so viele. Weil dadurch die Sicherheitsstandards für die immer schneller und schwerer werdenden Anhänger generell angehoben wurden, sehen die Oberösterreicher neue Dynamik im Markt. Hatten Druckluftbremssysteme, die ursprünglich aus dem LKW-Bau kommen, bisher einen Preisnachteil, sieht Atzlinger die Karten nun neu gemischt. „Druckluftbremssysteme waren schon immer auf höhere Geschwindigkeiten und Nutzlasten ausgerichtet. Jetzt verbessert sich unsere Wettbewerbssituation deutlich, weil sich hydraulische Systeme durch die notwendig gewordene Neuentwicklung verteuern.“

Europaweites Partnernetzwerk

Von den jährlich produzierten 4.000 Druckluftbremssystemen werden naturgemäß nur die wenigsten bei Atzlinger vor Ort eingebaut. Meistens erfolgt die Montage der aus Niederneukirchen verschickten Bausätze beim Importeur, beim Landmaschinenhändler oder in manchen Fällen sogar noch im Werk des Traktorenherstellers. Weil Europa der Hauptmarkt ist, hat man hier ein dichtes Händlernetz mit rund 2.000 Partnern geknüpft.