3D Druck Technologie : Additive Fertigung: Wie das Entfernen von Stützstrukturen automatisiert werden kann

Hirtenberger Hansal und Gerstl
© Factory / Thomas Topf

Dieses Bild erinnert an die Steinzeit: Da sitzt ein Mitarbeiter und feilt mühevoll händisch an einem Werkstück, das soeben aus dem 3D-Drucker gekommen ist. Es gilt Grate und Stützstrukturen zu entfernen. Fast wie bei der Endfertigung eines Faustkeils aus Stein, dem seine endgültige Form vom Steinzeitmenschen verpasst wird. Ein harter Kontrast zur sonst modernen 3D-Druck-Technologie. Darüber kann Wolfgang Hansal nur lachen, denn der erfahrene Oberflächenspezialist und Geschäftsführer bei Hirtenberger Engineered Surfaces hat mit seinem eine Weltinnovation zu bieten: „Wir haben mit dem H3000 Finishing Modul eine eigenständige Plug&Play-Maschine zur vollautomatischen Nachbehandlung 3D-gedruckter Teile entwickelt.“ Das selbstbewusst unter dem Namen „Hirtisieren“ patentierte Verfahren ermöglicht, dass sowohl angesinterte Partikel und Stützstrukturen entfernt, als auch Oberflächen geglättet werden. Es ist bereits bei kompliziertesten Werkstücken aus verschiedensten Metallen und deren Legierungen, wie zum Beispiel Titan, Aluminium, Edelstahl aber auch Inconel einsetzbar.

Hirtenberg schafft Weltneuheit

In der traditionellen Industriegemeinde Hirtenberg im Bezirk Baden, südlich von Wien, werden heute von der Hirtenberger Engineered Surfaces GmbH als Innovations- und Prozesspartner der Industrie top-aktuelle Anwendungen der funktionellen Oberflächenbehandlung und innovative Beschichtungen entwickelt. Auf dem Gebiet der Pulsabscheidung und verwandter Technologien ist das Unternehmen gerade voll dabei, seine Position als europäischer Technologieführer zu behaupten und weiter auszubauen. Auf diesem Weg verbirgt sich hinter dem Kürzel H3000 ein entscheidender Meilenstein in Richtung Weltmarkt. Und setzt damit der händischen Nachbearbeitung von Werkstücken ein Ende.

Hirtenberger ist Finalist beim 1. Austrian Robotic Award am 24. Oktober in Wien.

Weg mit Schleifen und Feilen

Was macht die H3000 so einzigartig? „Wir können mit der Maschine und dem integrierten Roboter mit Hilfe gepulster Elektrochemie großindustriell und automatisiert fertige Teile aus Metallen und Legierungen reinigen, polieren und von Stützstrukturen in deren Inneren befreien,“ erklärt Hansal, „das kann bisher weltweit kein Verfahren.“ Daher sind die Auftragsbücher für die H3000 voll, die Nachfrage boomt, denn außer mechanischem Gleitschleifen oder Handbearbeitung gibt es derzeit kein weiteres Verfahren am Markt der Oberflächentechnologie. Dabei läuft das Hirtisieren super-präzise ab: „Die mittleren Rauigkeiten der hirtisierten Bauteile sind mit bis zu unter einem Mikrometer minimal“, betont Projektmanager Matthias Gerstl, „damit sind Anwendungen an Werkstücken für den chirurgischen Bereich wie zum Beispiel medizinische Implantate überhaupt kein Problem.“

Elektrochemie macht’s möglich

Wie funktioniert dieses präzise Hirtisieren? Matthias Gerstl erklärt das Funktionsprinzip auf Basis der Elektrochemie vereinfacht so: „Die Werkstücke werden in ein materialspezifisches Prozessmedium eingetaucht, das außen- und innenliegende Oberflächen benetzt. Danach sorgt die Elektrochemie dafür, dass in einem ersten Schritt Stützstrukturen vollautomatisch entfernt und dann in einem zweiten Schritt die Oberfläche eingeebnet wird. Der Strom bewirkt sozusagen, dass nur das weggenommen wird, was auch entfernt werden soll.“ Je nach Werkstück und Anforderungen kann das Hirtisieren dann, umgesetzt mit Hilfe eines Roboters im Inneren der H3000, von zehn Minuten bis zu fünf Stunden dauern, und zwar für Werkstücke in der Größe von 30x30x10 cm und bis zu 10 kg Gewicht. „Jedenfalls ist im Schnitt unsere Nachbearbeitung um den Faktor 10 schneller als der eigentliche additive Druckprozess“, ergänzt Gerstl die technischen Finessen um ein spannendes Detail über die Effizienz des Prozesses.

Fein geglättet, exakt gesäubert

Für die technische Bedienung der H3000 ist keine besondere Schulung erforderlich, intuitive Steuerung und klare Programm-Module machen die Maschine leicht einsetzbar. Neben der automatischen Entfernung der Stützstrukturen, die beim 3D-Druck nötig waren, werden auch nur teilweise geschmolzene Körner und Sinterkuchen beseitigt. Danach werden die Oberflächen geglättet, ohne dass dabei die Kantenschärfe reduziert wird. Eine abschließende Oberflächenpolitur macht das Werkstück bereit für die letzten Schritte, die in der Säuberung und Vakuum-Trocknung der fertigen Teile in der H3000 bestehen. Die dafür erforderlichen Prozessmedien, sowie die Geräte für das Spülen und Trocknen der Bauteile, sind im System voll integriert, ihre Dosierung erfolgt genauso automatisch, wie der Rest des Prozesses. Paralleles Arbeiten ist möglich, somit können mehrere Werkstücke den Prozess der Nachbearbeitung durch Hirtisieren in der H3000 zeitgleich durchlaufen.

Großindustrielle Revolution

Für Wolfgang Hansal, der als erfahrener Oberflächentechniker auch ein internationales Standardwerk zu Pulse-Plating verfasst hat, ist die Innovation der H3000 für die Technologieentwicklung des 3D-Drucks ein eminent wichtiger Schritt: „Viele Branchen setzen zu Recht auf 3D-Druck, aber die Oberflächentechnik hinkte bisher einfach nach. Wir wurden 2015 von vielen Kunden nach einem geeigneten Verfahren zur Nachbehandlung der Werkstücke gefragt und haben daher einfach eines entwickelt.“ Damit war der Quantensprung von der alten Gleitstrom-Galvanik hin zur völlig neuen gepulsten Elektrochemie auch im Bereich des 3D-Drucks vollzogen: „Wir haben den Need am Markt eben erkannt, und gehandelt“, so Hansal bescheiden im O-Ton, und erklärt den Innovationsgehalt wie folgt: „Großindustriell lässt sich eine Nachbehandlung nur realisieren, wenn sie automatisiert abläuft, da darf es keine manuellen Schnittstellen vom Weg des Werkstücks aus dem 3D-Drucker bis zum fertigen Endprodukt geben.“

Hirtenberger ist Finalist beim 1. Austrian Robotic Award am 24. Oktober in Wien.

Jeder braucht es, wenige haben es

Da horchen die innovativen Branchen natürlich auf und setzen auf die Technologie aus Hirtenberg, vor allem Luftfahrt- und Automobilbranche, aber auch Maschinenbau und Medizintechnik und zwar weit über Europa hinaus: Japan, USA und China zählen zu den Zukunftsmärkten der H3000, die es übrigens in mehreren Dimensionen bis zur H12000 geben wird. „Wir werden zuerst in die amerikanischen, südkoreanischen und japanischen Märkte expandieren“, verrät Hansal über die Strategie des Unternehmens. Aber auch gegenüber China hat er keine Berührungsängste: „Die Maschine könnte nachgebaut werden, aber Technologie und Verfahren nicht“, betont er. Große Hoffnungen setzt Hansal auch auf den 1. Austrian Robotics-Award, wo er gute Chancen auf einen Preis für die H3000 sieht, die ja den Hirtisierprozess mit Hilfe eines sechsachsigen Roboters durchführt: „Mit unserer Innovation kann man nicht nur im Labor arbeiten, sondern die gesamte Großindustrie erobern.“