Ingenieurnation : Acatech Technikradar 2018: Leidet Deutschland unter Technophobie?

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Liest man die aktuellen Studien zur Akzeptanz von Automatisierung und zum Vertrauen in Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz, dann kommt die Frage hoch, ob die einst führende Ingenieurnation Deutschland noch in ihre Kernkompetenz vertraut. Unkenntnis, Unentschlossenheit, Unbehagen. Eine Bertelsmann-Studie von Anfang Mai fasst so das Verhältnis der Deutschen zu Algorithmen zusammen. Auch wenn der Blick geweitet wird auf das generelle Verhältnis der Deutschen zu Technologie allgemein, klingt das ebenso wenig erfreulich.

Bevölkerung glaubt es entstehen zunehmend Zwänge für den Einzelnen

Das jetzt in Berlin vorgestellte „Technikradar 2018“ von Acatech und Körberstiftung diagnostiziert eine tiefsitzende Skepsis gegenüber Technik und ihren Potentialen. Fatalismus, Furcht vor Kontrollverlust und wenig Vertrauen in die Problemlösungskraft von Technik dominieren die kritischen Einstellungen. Fast 90 Prozent der Bevölkerung sind davon überzeugt, dass sich der technische Fortschritt nicht aufhalten lässt. Und über 60 Prozent gehen davon aus, dass mit der Entwicklung zunehmend Zwänge für den Einzelnen entstehen. Nur ein Viertel geht davon aus, dass Technologie mehr Probleme löst als sie schafft. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Technologie scheint erschüttert. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Gefordert: Ein Einklang mit gesellschaftlichen Werten

Das „Technikradar 2018“ zeigt laut der wissenschaftlichen Projektleiterin Cordula Kropp vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart aber auch, dass die Menschen den Blick auf den Zusammenhang und die Gesellschaft richten. „Geht es um konkrete Technologien, denken die Deutschen differenziert. Beim Einsatz von Robotern zur Entlastung von Pflegepersonal sind die Erwartungen zurückhaltend, bei der Nutzung erneuerbarer Energien zur Bekämpfung der globalen Erwärmung deutlich positiver“, so Cordula Kropp. Nach dem Nutzen von Technik gefragt, denkt die Mehrheit der Bevölkerung zuerst an die Gesellschaft. Fast drei Viertel fordern von Technik den Einklang mit gesellschaftlichen Werten wie Umweltschutz und Gerechtigkeit. „Nicht Technik an sich steht für die Deutschen im Mittelpunkt des Interesses, sondern ihre soziale Einbettung – die Ziele, die mit ihr angestrebt werden ebenso wie die Folgen ihres Einsatzes,“ unterstreicht denn auch Lothar Dittmer, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung.

Gesellschaftliche Debatte um Innovationen ist dringend notwendig

Acatech und Körberstiftung wollen das Technikradar denn auch als Frühwarnsystem verstanden wissen. Nimmt man die Signale ernst, dann wird auch die Lösung in den Studien benannt. Einerseits rechne fast jeder Zweite damit, dass Technik die Lebensqualität für nachfolgende Generationen verbessern werde, so Kropp. Andererseits fordert eine Mehrheit von fast 70 Prozent, dass die Bürgerinnen und Bürger über die Zukunft umstrittener Techniken mitbestimmen sollten. Und darin liegt wohl der Schlüssel. Transparenz und Partizipation sowie gesellschaftlicher Diskurs. Und der steckt noch fest. So formulieren die Autoren der Algorithmus-Studie, dass eine breite gesellschaftliche Diskussion abseits der Fachdiskurse und einschlägig Interessierten noch nicht begonnen habe. Damit Ängsten und Ablehnung begegnet werden könne, brauche es einen sachlichen und differenzierten Diskurs über die positiven und negativen Konsequenzen neuer Technologien.

Unterschiede in Ost und West sowie bei Männern und Frauen

Das Bild, das sich aus den Untersuchungen ergibt ist aber auch angesichts regionaler und demographischer Eigenschaften unterschiedlich. Das Technikradar unterstreicht, dass Jüngere der Digitalisierung positiver gegenüberstehen als Ältere und Männer positiver als Frauen. Besonders ältere Frauen zeigen sich laut Technikradar vergleichsweise skeptischer und das sowohl auf Digitalisierung als auch auf Technik im Allgemeinen. Die relativ höhere Technikdistanz von Frauen ist kein neues Phänomen. Der Ost-West-Vergleich ist aber überraschend. Dass Technik die Lebensbedingungen künftiger Generationen verbessere, erwarteten rund 37 Prozent der Frauen in Westdeutschland aber über 62 Prozent der Frauen in Ostdeutschland.

Je jünger desto technikaffiner gilt aber auch nicht uneingeschränkt. Vorwiegend besser Gebildete, Personen mit einer technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung, diejenigen, die sich selbst sozial oberhalb der Mittelschicht einordnen und jüngere Befragte sorgten sich um die Datensicherheit. So sind Hackerangriffe sowohl bei Autonomen Fahren als auch im Smart Home die meistgenannten Bedenken.

Gestaltungsdiskurs

Angesichts der Tatsache, dass Technologien sich nicht auf eine Industrie oder eine Branche beschränken lassen, sondern Auswirkungen auf Rechtssysteme, Finanzierung oder Arbeitsverhältnisse haben, ist eine offene Debatte die Voraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung der digitalen Transformation. Da die Auswirkungen von Technologien zwangsläufig in der Zukunft liegen ist Vertrauen die entscheidende Größe, die über die Umsetzung entscheidet. Und Vertrauen gewinnt man nur in einem transparenten und partizipativen Gestaltungsdiskurs, der ganzheitlich Chancen und Risiken gleichermaßen benennt. Dass dies je nach Gesellschaft unterschiedlich verlaufen wird ist offensichtlich. Nicht ohne Grund wird deutschen Führungskräften eine höhere Risikoaversion nachgesagt. Also diskutieren wir.

Allgemein: Was ist der Technikradar?

„Was die Deutschen über Technik denken“, untersucht das Technikradar von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Körber-Stiftung. Grundlage ist eine regelmäßige, bundesweit repräsentative Befragung, die nach sozialwissenschaftlichen Standards entwickelt und mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung ausgewertet wird. Erstellt wird es vom Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS). 2018 wurden 2002 Personen befragt, Schwerpunktthema war Digitalisierung. „Was Deutschland über Algorithmen weiß und denkt“ ist der Titel einer repräsentativen Umfrage vom Mai 2018 des Allensbach Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Die Umfrage ist Teil des Projekts „Ethik der Algorithmen“, in dem sich die Bertelsmann Stiftung näher mit den gesellschaftlichen Auswirkungen algorithmischer Entscheidungssysteme beschäftigt.